Ist das Glas für Finanzdienstleister halb voll oder halb leer? Und welche Schlussfolgerungen sollten Anleger aus der fortdauernden Konsolidierung der hiesigen Finanzindustrie ziehen, deren Ausmaße auch fünf Jahre nach der Verschärfung der Finanzkrise nicht vollends absehbar sind? Wir erinnern uns, dass die Folgen der Subprime-Krise erstmals im Sommer 2007 manifest wurden! Die Lehman-Krise war dabei nur der Anfangspunkt einer Kette von Krisen, die die Schweizer Finanzindustrie seitdem fest im Griff hat. Zu nennen sind: Die allgemeine Zurückhaltung der verunsicherten Kunden bei Finanzprodukten, die negativen Folgen der Eurokrise, die Auseinandersetzungen um unversteuerte Anlegergelder zwischen der Schweiz und nahezu all ihren grossen Handelspartnern sowie eine verschärfte Finanzmarktregulierung, die nicht nur den Banken (Stichwort Basel II), sondern auch kleinen Vermögensverwaltern (FINMA Positionspapier) zu schaffen macht.
Die Vorzeichen waren also wenig ermutigend für den Tenor der Diskussionen auf der Morningstar Investment Conference in Zürich am 23. Oktober. Tatsächlich zogen sich die vielen Facetten der Krise wie ein roter Faden durch die traditionsreiche Veranstaltung. Einerseits. Doch da bekanntlich jede Krise auch den Keim des Neuanfangs in sich birgt, rückte andererseits die Suche nach Auswegen in den Mittelpunkt. Dass die schon rituellen Bekenntnisse zum Dienst am Kunden allfällig wiederholt wurden, ist das Eine. Zuversichtlich kann den Beobachter indes stimmen, dass in der Finanzbranche inzwischen reichlich Realismus Einzug gehalten hat. Optimistische Szenarien sind eindeutig eine Sache der Vergangenheit!
Das Ende einer Ära bringt auch Chancen
Auf den Punkt brachte es Martin Naville, CEO der Swiss-American Chamber of Commerce, die rund 2.500 Unternehmen unter ihrem Dach vereint: „Die Schweiz verliert einiges, etwa die Fähigkeit, Steuersünder zu schützen und auch den Ruf, Steuerparadies für solche zu sein“, so die pointierte Umschreibung des „alten Geschäftsmodells“ der Schweizer Banken. „Die echten Stärken aber“, so Naville in seiner Key Note Rede weiter „werden aber bleiben!“. Die Schweiz sei wegen des „professionellen Umfelds“, der Solidität der Finanzdienstleistungsbranche und der politischen Stabilität immer noch der beste Ort für liquide Vermögenswerte, so der CEO der Schweizerisch-amerikanischen Handelskammer.
Lösungswege für Investoren: Die Produktseite
In erster Linie sollte unsere Konferenz Lösungswege für Investoren aufzeigen. Angesichts der bescheidenen Aktienmarkt-Renditen in der vergangenen Dekade wollten wir wissen, wie die Perspektiven für nicht-börsenkotierte Investments einzuschätzen sind. Die realistische Einschätzung eines naturgemäss für Private Equity optimistisch gestimmten Experten lieferte Steffen Meister, CEO Partners Group aus Zug. Er präsentierte einen Parforceritt durch die verschiedenen Private-Equity-Segmente. Sein Tenor: Ja, die Asset-Klasse hat das Potenzial, nachhaltig bessere Renditen zu liefern als der „öffentliche“ Markt (public markets). Allerdings gelte es, so Meister, die Heterogenität von Private Equity im Blick zu haben und die unterschiedlichen Investmentregeln zu beachten, die für Private Equity, Private Debt, Private Infrastructure oder Private Real Estate gelten.
Zudem gilt zu beachten, dass Outperformance-Potenzial nicht auf niedrige Korrelationen zu herkömmlichen Asset-Klassen schließen lassen muss. Die erheblichen Drawdowns im Krisenzeiten zeigen, dass sich die Kurse von Private und Public Equity Investments häufig im Gleichklang bewegen. Das Glas ist hier zwar halb voll, aber Realismus und Expertise bei der Vermögensallokation sind das Gebot der Stunde.
Lösungswege für Investoren: Die Kundenseite
Der Chief Investment Officer (CIO) von Morningstar Europe, Hal Ratner, ging in seinem Vortrag auf die „neue Normalität“ an den Finanzmärkten ein. Da bei Investoren die Verlustaversion im Vordergrund steht, setzte der Vortrag unseres Experten beim Management von Kapitalmarktrisiken an. Wie umgehen mit den so genannten Fat Tails, also der Gefahr abrupter und erheblicher Kursverluste? Ansätze, mit denen die Portfoliorisiken in den Griff bekommen werden können, gibt es viele, führte Ratner aus: die Bestimmung von Risiko Budgets nach verschiedenen Maßgaben, die Feinjustierung auf der Verpflichtungsseite (liability-driven investments) und die Orientierung an Risikokennzahlen wie dem Value at Risk.
Entscheidend sei zunächst allerdings die Abgrenzung der Begriffe Risiko und Unsicherheit, die häufig durcheinander gebracht würden. Letzterer Begriff sei stark subjektiv geprägt und insofern nicht mit objektiven Kriterien zu quantifizieren. Während Risiken sich im Portfolio-Kontext modellieren lassen, könne die Unsicherheit nicht gesteuert werden. Hinter ihr stehen die so genannten Schwarzen Schwäne, die sich nun einmal nicht mit Vergangenheitsdaten prognostizieren lassen. Wichtig sei es deshalb, vorab die Risikotoleranz des Investors zu bestimmen, so Hal Ratner weiter.
Den Vermögensverwaltern die Zukunft?
Spezielle Schweizer Investment-Themen standen ebenfalls auf der Agenda der Morningstar Investment Conference 2012. Auf einem Panel wurde über die Erfolgsaussichten für unabhängige Vermögensverwalter diskutiert. „Sind Vermögensverwalter die besseren Banker?“, so die Frage, die von Martin Breig von der DJE Finance, Christoph Hartgens (cash zweiplus), Brian Fischer (Bank Vontobel) und Miriam Staub-Bisang (Independent Capital Management) erörtert wurde. Kleine Vermögensverwalter, so der Tenor, hätten durch ihre traditionell starke Kundenorientierung beste Chancen, sich im Wettbewerb mit den Banken zu behaupten.
Allerdings könnte das Glas auch als halb leer bezeichnet werden: In Zeiten grosser Kundenzurückhaltung wird der Ton rauer, das früher schiedlich-friedliche Nebeneinander von Banken und unabhängigen Vermögensmanagern dürfte von einem verschärften Wettbewerb um die knappen Assets abgelöst werden. Hierbei gelte es, so Frau Staub-Bisang, die Margen im Blick zu behalten. Es sei erstaunlich, welche Kampfpreise manche Banken für Mandate aufriefen. Man müsse sich bewusst machen, dass es nicht sinnvoll sei, in diesen ruinösen Wettbewerb einzusteigen.
Und der Kelch der Regulierung geht auch nicht an den Vermögensverwaltern vorbei: Das bereits im Februar bekannt gewordene Positionspapier der FINMA zu Vertriebsregeln und der Regulierung von Produkten hat für viel Unmut in der Branche gesorgt. Die bürokratischen Hürden würden immer höher, die Zeit für die Kundenberatung werde bedenklich eingeschränkt, so Hartgens von cash zweiplus.
Quo vadis, Grossbanken?
Ganz und gar eingerahmt vom Überthema Konsolidierung war auch der Vortrag von Gerhard Fusenig, Leiter Asset Management der Credit Suisse, der die undankbare Aufgabe hatte, angesichts vielfältiger Spekulationen um die Zukunft seines Geschäftsfelds, Herausforderungen und Prioritäten im Asset Management-Geschäft in der Schweiz zu benennen. „Risikomanagement ist ein Schlüsselthema für die Kunden“, so Fusenig. Massgeschneiderte Lösungen stünden deshalb im Vordergrund, nicht der Vertrieb einzelner Produkte. Doch muss jeder Anbieter von Finanzdienstleistungen alles im Bauchladen führen?
Fusenig vertrat hier – naturgemäss – die Position des Vollsortimenters, der multiple Strategien sowohl auf der Produkt- als auch der Vertriebsseite vorhalten müsse. Dass den erhöhten Kundenanforderungen auch unter der Bedingung regulatorischer Veränderungen – gemäss den Eigenkapitalanforderungen nach Basel II verkürzt die Credit Suisse derzeit ihre Bilanz drastisch – Rechnung getragen werden muss, macht die Aufgabe für die Asset Manager der Banken nicht leichter.
Dass ein Vollsortimenter wie die Credit Suisse, die laut Fusenig auch Indexprodukte als Bestandteil des Kundenangebots führt, nicht notwendigerweise alle Produkte selbst „herstellen“ muss, verdeutlicht die Tatsache, dass die Indexfonds-Sparte der Credit Suisse inzwischen zum Verkauf gestellt wurde.
Dass die Banken derzeit voll auf Konsolidierung eingestimmt sind, zeigte sich wenige Tage nach unserer Konferenz: Die Credit Suisse wird ihren Sparkurs in den nächsten Jahren verschärfen, hiess es nach Bekanntgabe der Zahlen zum dritten Quartal. Auch die UBS verkündete anlässlich der Veröffentlichung des Quartalsberichts massive Einschnitte, vor allem im Investmentbanking. Die Branche befindet sich also unverändert auf einem Selbstfindungstrip. Solange das Kundeninteresse bei diesem Konsolidierungskurs im Vordergrund steht, wie es allfällig heisst, muss das freilich nichts Schlimmes für Anleger bedeuten.