Fachkonferenzen sind eine nicht zu unterschätzende Erkenntnisquelle, wenn es darum geht, die Stimmung einer Branche auszuloten. Das liegt nicht nur an den (mehr oder weniger) interessanten Fachbeiträgen, sondern auch an der Auswahl der Beiträge. Das ETF-Forum der Deutschen Börse in Frankfurt, ein mittlerweile etablierte Branchentreff, war in diesem Jahr von Nüchternheit geprägt. Die ETF-Industrie erging sich in diesem Jahr nicht in Eigenlob, sondern war erfreulicherweise um Sachlichkeit bemüht. Kein Wunder: Auch das Jahr 2012 wird für ETF-Anbieter absehbar schwach ausfallen und eher an 2011 als an die Boom-Jahre 2008 und 2009 erinnern.
Neben der Zukunft des Euro standen beim ETF-Forum Themen wie Nachhaltigkeit und Risikomanagement im Mittelpunkt. Besonders auffällig war jedoch, dass sich eine Podiumsdiskussion mit der Frage beschäftigte, ob bei der ETF-Branche Regulierungsbedarf zur Abdeckung potenzieller systemischer Risiken bestehe. Das zeigt, wie sehr auch die Branche selbst eine aus dem Ruder gelaufene Diskussion verinnerlicht hat.
ETF können Verlustbringer sein - aber in welchem Kontext?
Zunächst einmal weisen ETFs selbstredend zahlreiche Risiken auf. Sie können dem Anleger böse Verluste verursachen, etwa wenn sie riskante Indizes abbilden. Die zunehmende Praxis, komplexe Indizes mit ETFs abzubilden, ist auch ein neuralgischer Punkt. Kritiker werfen der ETF-Branche vor, sich mit Strategie- und aktiven ETFs zu verzetteln und sich von ihren Ursprüngen zu lösen, als einfache und transparente Produkte im Mittelpunkt standen.
In Gefahr sind Anlegergelder auch dann, sollte eine Bank, die als Swap-Partner oder als Leihe-Kontrahent bei ETFs fungiert, Pleite gehen. Dann könnte es durchaus sein, dass Anleger mit weniger Geld dasteht als zu Beginn seines ETF-Investments. Das ist aber vor allem Ausdruck des Marktrisikos: Was passiert, wenn eine wichtige Bank pleite geht, war im Herbst 2008 zu beobachten. (In diesen Zusammenhang brachte Prof. Lutz Johanning von der Otto Beisheim School of Management den interessanten Hinweis, dass der Sicherheitenkorb, also das so genannte Collateral im Swap-Geschäft, in diesem Fall auch mehr Wert sein könnte als die Marktentwicklung des Index, den der ETF eigentlich abbildet.)
Aber diese Punkte sind für die Frage nach den Risiken, die von ETFs für die Stabilität des Finanzsystems ausgehen, irrelevant. Sie vermischen die Frage nach den systemischen Risiken mit den Anlagerisiken. Letztere sind indes, siehe oben, keine ETF-spezifischen Risiken, sondern betreffen alle Finanzprodukte, die mehr als den risikolosen Zins erwirtschaften sollen und dafür Derivate einsetzen.
Aber kommen wir zurück zu den systemischen Risiken. In diesem Kontext haben ETFs nichts verloren. Wer ETFs im Zusammenhang mit dem unregulierten Sekundenhandel erwähnt, vergisst, dass ETFs die Instrumente und nicht die Verursacher von Turbulenzen wie dem Blitz-Crash im Mai 2010 in den USA waren. Hier gehört der so genannte Hochfrequenzhandel an die Kandare genommen, nicht aber ETFs.
Wer systemische Risiken bei ETFs befürchtet, droht der Blick fürs Ganze abhanden zu kommen. Denn für sich genommen sind ETFs mit einem Anteil von unter 5% am Markt für Anlagefonds in Europa schlicht zu unbedeutend, um eine Systemgefährdung der Kapitalmärkte darzustellen.
Bleibt der Einwand von Regulierern und Verbraucherschützern, der auch auf dem ETF-Forum wiederholt wurde: Dass Investmentbanken die Sicherheitenkörbe als außerbilanzielle Lagerstelle für Schrottpapiere missbrauchen könnten. Das wäre theoretisch möglich, ist aber angesichts der tagesaktuellen Transparenz über die Zusammensetzung der Collaterals von Swap-ETFs bei immer mehr Anbietern wenig wahrscheinlich. Dies wäre auch ein eklatanter Verstoß gegen die Selbstverpflichtung der meisten ETF-Anbieter, nur hochwertige, fest definierte Sicherheiten als Collateral zu verwenden. Dieser absehbare Branchenstandard wird sich nicht ohne große Kollateralschäden zurückdrehen bzw. unterlaufen lassen. Sollte unter den größtenteils institutionellen Anlegern derartiges ruchbar werden, dürfte der betreffende ETF-Anbieter ziemlich schnell aus dem Geschäft sein. Bereits jetzt lässt sich sehr gut nachvollziehen, welcher Anbieter von Swap-ETFs welche Sicherheiten hinterlegt. Einen guten Überblick bietet hier unser umfassender Bericht über die Zusammensetzung von synthetischen ETFs vom Mai 2012 (lesen Sie hier mehr).
Warum nicht über den Nutzen von Dachfonds sprechen?
Das bringt mich zu dem entscheidenden Punkt: Statt im Jahr 2012 über abwegige systemische Risiken von ETFs zu diskutieren, sollte mehr über die praktische Verwendung von ETFs auf Anlegerebene diskutiert und auch gestritten werden. Etwa über die Frage, wie effizient ETFs als Bausteine in den Portfolios von Vermögensverwaltern tatsächlich zum Einsatz kommen. So zeigt die aktuelle, seit nunmehr 2 Jahren schwelende Euro-Krise, dass viele Vermögensverwalter, die ETFs einsetzen, es nicht schaffen, Mehrwert für Anleger zu stiften. Die vielen Dachfonds, die trendfolgende Strategien anwenden und dabei auf die effizient handelbaren ETFs zurückgreifen, weisen summa summarum eine erschreckend schwache Performance-Bilanz auf.
Angesichts der Häufung dieser markttechnischen Modelle zur Unzeit an den Märkten (man ist versucht, von einer Monokultur bei ETF-Dachfonds zu sprechen), ist die These legitim, dass Anleger besser mit naiven Allokationsmodellen bedient sind, die mit günstigen ETFs bestückt werden. Strategisch aufgesetzte Portfolios, die wenig hektisch umgeschichtet und dafür regelmäßig auf die Ursprungsallokation zurückgesetzt werden (Rebalancing), sind langfristig kaum zu schlagen. Derartige strategische Asset-Allokation-Modelle haben jedenfalls in der Vergangenheit gegenüber den meisten Asset-Allocation-Produkten am Markt Mehrwert erzielt. Dennoch sind derartige Produkte Mangelware (lesen Sie mehr zur Performance von aktiv verwalteten Mischfonds gegenüber naiv gestrickten ETF-Portfolios im Artikel "Dachfonds der Marke Eigenbau"). Es sollte bei ETFs wieder mehr über Anlegerbelange gesprochen werden.