Sie zählt eigentlich zum großen und kleinen Einmaleins des Behavioural Finance: die Regel, wonach steigender Optimismus unter den Kapitalmarktakteuren eher ein Aus- als ein Einstiegssignal für Investoren darstellt. Ginge es nach der relativ jungen wissenschaftlichen Disziplin der Börsenpsychologie, die den Herdentrieb der Anleger als (Kontra-) Indikator für die Marktentwicklung nimmt, dann wäre es heute an der Zeit, über Gewinnmitnahmen nachzudenken. Das gilt aber nicht für die meisten Fondsmanager.
Es ist erstaunlich, dass auch viele vorsichtige Investoren nach und nach in das Bullenlager überwechseln. Eine Einschätzung von Axa Investment Managers zur Eintrittswahrscheinlichkeit eines „Euro-Geddons“, also einer Euro-Götterdämmerung, spiegelt den Wandel in der Risikowahrnehmung vieler Investoren wider. „Wir schätzen das Risiko derzeit auf fünf Prozent, gegenüber 15 Prozent im Januar und 25 Prozent im Dezember 2011“, so Eric Chaney, Chefstratege bei Axa Investment Managers.
Bei Carmignac Gestion heißt es in einem aktuellen Marktausblick etwas umständlich: „Im Hinblick auf die Aktienmärkte bestand unser Ansatz darin, den durch die überreichlich vorhandene Liquidität herbeigeführten Aufschwung durch die maximal mögliche Erhöhung unseres Aktienanteils zu nutzen“. Mit anderen Worten: Die Aktienmandate der Franzosen sind inzwischen voll investiert.
Sogar der notorische Pessimist für Aktien, Luca Pesarini, hat in seinem Flaggschiffprodukt, dem konservativen Mischfonds Ethna-Aktiv E, die Aktienquote in diesen Tagen zeitweilig auf fast 17% hochgefahren. Auch wenn der deutsch-italienische Vermögensverwalter das als einen rein taktisch motivierten Trade (der inzwischen wieder geschlossen wurde) bezeichnet, zeigt dieser Schritt das Dilemma vieler Vermögensverwalter, die sich an fundamentalen Kriterien orientieren. Sie sehen unverändert die Risiken für die Konjunktur, müssen jedoch aufpassen, dass ihnen die Märkte nicht davonlaufen. Im Ergebnis nähert somit die Hausse die Hausse. Bevor am Montag die Märkte mit einem deutlichen Minus eröffneten, hatte der DAX an acht aufeinanderfolgenden Tagen im Plus geschlossen, die Marke von 7.000 Punkten wurde locker übersprungen. Seit Jahresanfang steht unter dem Strich ein Plus von gut 21% beim deutschen Standardwerte-Index.
Auch die jüngste Fondsmanager-Umfrage der Bank of America Merrill Lynch (BoAML) zeigt, dass Portfolio-Lenker immer mehr Risiko nehmen: Man gibt sich optimistischer, dass die Euro-Krise zu einer akuter Kapitalmarktkrise ausweiten wird, gewichtet Banken, Zykliker und Emerging Markets höher in den Portfolios. Das ist angesichts des tiefgreifenden Pessimismus, den die BoAML-Umfrage noch Ende 2011 ermittelt hatte, erstaunlich.
Unsere Auswertung global investierender Aktienfonds vom vergangenen Montag hat gezeigt, dass viele Vermögensverwalter in diesem Jahr nicht dabei sind, weil sie nicht den Umschlag von der Risikoaversion zur Risikotoleranz nachvollzogen haben (lesen Sie die Analyse von vergangener Woche hier). Kurzfristig ist das zwar ärgerlich, langfristig ist es freilich viel wichtiger, die Verluste in einer Baisse zu reduzieren als in einer Hausse ganz vorne mit dabeizusein. (Einigermaßen mitzuschwimmen ist allerdings ratsam.) Der zweite Teil der Morningstar-Fondsauswertung beschäftigt sich in dieser Woche mit den global investierenden Aktienfonds, die es 2012 geschafft haben, die Nase vorne zu behalten. Soviel sei verraten: Fonds, die Emerging Markets übergewichten, sind in diesem Jahr gut mitgekommen (wer das war, erfahren Sie hier).
Apropos Behavioural Finance: Wer meint, über die Analyse des Verhaltens von Börsenprofis zu mehr Erkenntnissen zu gelangen, kommt leider nicht weiter. Auch bei Fondsmanagern, die den Herdentrieb der Anleger als Faktor in ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen, gibt es kein einheitliches Bild. Dr. Jens Ehrhardt, der Doyen der deutschen Vermögensverwalter, hat die Aktienquote in seinen Fonds für seine Verhältnisse sehr hoch gefahren. Mischfonds wie der DJE Alpha Global haben eine Aktienquoten von über 80%. Der nicht in der Schweiz zugelassene Sentix Fonds 1 Fonds, der von ehemaligen Deka-Volkswirten nach verhaltenspsychologischen Aspekten gesteuert wird, weist indes eine Anleihenquote von 100% aus, die zudem überwiegend von niederländischen und deutschen Staatsanleihen gespeist wird!
Andreas Uttermann, Chief Investment Officer bei Allianz Global Investors, formuliert folgendes Basisszenario: „Der erfolgreiche Verschuldungsabbau weltweit bleibt die Voraussetzung für eine nachhaltige Beruhigung an den Märkten.“ Bis dahin sei mit einem geringeren Trendwachstum als vor der Krise 2007 und mit Begleiterscheinungen wie niedrigen Leitzinsen sowie weiteren Anleiheankaufprogrammen zu rechnen. Und die Aktienmärkte dürften weiter sensibel auf Makrodaten reagieren, heißt es bei AGI weiter. „Die günstigen US-Daten wirken sich momentan zwar positiv aus, wir erwarten jedoch keine deutliche Ausweitung der Kurs-Gewinn-Verhältnisse“. Die Kapitalmärkte verharrten weiter zwischen Hoffen und Bangen, so die AGI-Experten. Bleibt zu hoffen, dass die Aussichten auf kurzfristige Gewinne die Anlageprofis nicht zu stark blenden.
Am Fondsmarkt gibt man sich zurückhaltend - zu Recht, wie die EU-Kommission zeigt
Eher Nachdenkliches ist in diesen Tagen aus der Fondsbranche zu vernehmen. Auch an unerwarteter Stelle. Mathias Bauer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Raiffeisen KAG, schrieb auf einer Gastrede bei den Morningstar European Fund Manager of the Year Awards 2012 der eigenen Branche einiges ins Pflichtenheft. „Wir müssen uns in Zukunft viel stärker auf unsere ureigene Aufgabe, die treuhänderische Verwaltung des Kundenvermögens, konzentrieren. Das ist in den vergangenen Jahren aus dem Fokus geraten“, so Bauer anlässlich der Prämierung von Europas besten Fondsmanagern in Wien Ende vergangener Woche (lesen Sie mehr zu den Siegern hier). Die Markt-Performance sei in der vergangenen Dekade nicht gut gewesen und das habe sich in der Performance der Produkte widergespiegelt. Das Wirtschaftsumfeld werde durch niedriges Wachstum geprägt sein, und das werde die Konsolidierung in der Vermögensverwaltungsindustrie beschleunigen. Mit Skepsis betrachtet Bauer dabei den Trend zu immer kürzeren Anlagetrends in der Branche, auch mit Blick auf die Enwicklungen in der ETF-Branche, die immer mehr von Investmentbanken geprägt werde. "Hier steht der fiduziarische Gedanke nicht im Vordergrund", so der Raiffeisen-KAG-Geschäftsführer, der damit eine weitere Runde in der ewigen Aktiv-versus-Passiv-Debatte provoziert haben dürfte.
Passend zu dieser Gemütslage auch das jüngste Grünbuch der EU-Kommission zur Regulierung so genannter Schattenbanken. Unregulierte Finanzinstrumente und -institutionen sollen nach dem Willen der Brüsseler Behörde stärker an die Kandare genommen werden. So weit, so klar, so unspektakulär. Spektakulär ist indes, dass die Kommission im einzelnen auch Geldmarktfonds und die börsennotierten Indexfonds im Zusammenhang mit der Regulierung von Schattenbanken erwähnt. „Einen Mangel an Regulierung kann unsere Branche wahrlich nicht beklagen“, so Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des Fondsverbands BVI. Dass auch Fonds im Grünbuch der Kommission genannt werden, könne man "nicht nachvollziehen", so der deutsche Fondsverband. Man darf gespannt sein, wo die Diskussion hinführt, zumal auch die britische Aufsicht FSA und der Zusammenschluss der Aufsichtsbehörden IOSCO jüngst ebenfalls kritisch zu ETFs als Risikoquellen geäußert haben (lesen Sie hier mehr).