Inwieweit hat der letzte Bärenmarkt die Erkenntnisse in Ihrem Buch bestätigt? Oder auch nicht?
Erinnern wir uns an Oktober oder November letzten Jahres, als der Dow Jones Industrials in Richtung 6000 ging. Millionen von Investoren, ob private oder professionelle Anleger, agierten aus purer, unkontrollierter Angst heraus. Sie standen unter einem unglaublichen Stress. In einer solchen Si
tuation – wenn der Blutdruck steigt, man ins Schwitzen kommt, die Hände zittern – treffen Menschen schlechte Entscheidungen. Sie treffen impulsive Entscheidungen. Sie treffen große Entscheidungen, wenn es besser kleine sein sollten. Anstelle schrittweiser Anpassungen am Portfolio, anstatt marginal zu rebalancieren, flüchteten die Anleger aus manchen Anlageklassen komplett oder schichteten alles in Kasse um.
Die Neuroökonomie weist zudem darauf hin, dass Menschen in Panik automatisch glauben, bestimmte Muster wahrzunehmen, Trends in Zufallsdaten, die es einfach nicht gibt. Dinge, die vorhersehbar erscheinen, nehmen in ihren Gedanken mehr Platz ein. Die Menschen glauben dadurch, dass die Zukunft besser prognostizierbar ist. Das ist in Zeiten extremer Unsicherheit besonders ausgeprägt. Ich bekam damals Hunderte von E-Mails, in denen der Weltuntergang angekündigt wurde: ‚Wir werden eine neue Große Depression erleben.‘ oder ‚Die Finanzmärkte werden komplett zusammenbrechen.‘ Mich überraschte nicht diese Panik an sich, sondern wie schnell die Stimmung kippte. Mittlerweile scheint es, als ob viele vergessen hätten, wie sie sich noch vor einigen Monaten fühlten. Das macht mir große Sorgen. Für mich deutet es darauf hin, dass wir längst nicht über den Berg sind. Ich stelle normalerweise keine Marktprognosen an, aber ich könnte mir vorstellen, dass wir nochmals eine große Überraschung erleben, bevor wir tatsächlich eine Erholung sehen.
Sie schrieben kürzlich darüber, dass wieder der große Andrang auf die Schwellenmärkte eingesetzt hat.
Ja, da ist die Performancejagd in vollem Gang. Teilweise liegt das daran, dass wir Menschen Optimisten sind. Wir wollen glauben, dass das Schlimmste hinter uns liegt und von nun an wieder alles besser wird. Deshalb lassen sich die Menschen wieder zu Dummheiten hinreißen, die sie wahrscheinlich bereuen werden.
Was können wir demnach tun, um in einer Finanzkrise bessere Entscheidungen zu treffen?
Was ich vorschlagen würde, wäre eine Art ‚finanzielle‘ Feuerwehrübung für Anleger, aber auch für Finanzberater. Kurz gesagt geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die rationale Entscheidungen erschweren. Beispiel: Sie schalten im Sommer die Klimaanlage oder im Winter die Heizung aus. Sie schließen alle Fenster und Türen, um für schlechte Luft zu sorgen. Sie spielen unangenehme Geräusche ab (Babygeschrei, Alarmanlage). All dies führt zu Stress und wir wissen, dass es schwierig ist, in solchen Situationen Entscheidungen zu treffen. Dann stellen Sie Ihre Kunden oder Kollegen vor eine Reihe von Entscheidungen: ‚Was sollten wir tun? Die ABC-Aktie ist von 60 auf 5 Euro gefallen.‘ oder ‚Wir wollten ursprünglich mit 75% in Aktien investiert sein. Die Kurse sind seither um 60% gefallen. Was nun?’ oder ‘Diese Anlageklasse sieht gerade sehr billig aus. Sollten wir zugreifen?‘ Sie müssen sich diese Entscheidungen in einer Situation vorstellen, in der die Alarmglocken läuten, die Kurstafeln tiefrot sind und alle Kurscharts nur nach unten gehen. Dann müssen Sie eine Methode finden, mit der Sie trotz allem vernünftige Entscheidungen treffen können. Dabei hilft es, sich die Zukunft vorzustellen. Und sich zu sagen: ‚Ich muss heute eine Entscheidung treffen, die ich in sechs Monaten oder einem Jahr oder fünf Jahren nicht bereuen werde.‘ Das ist eine Übung für das reale Leben. Denn solche Bedingungen hatten wir bis vor kurzem noch. Und Anleger mussten in einer solchen Situation jeden Tag Entscheidungen treffen. Häufig waren es schlechte Entscheidungen, weil viele etwas derartiges noch nicht erlebt hatten. Erinnern Sie sich an Sully, den berühmten US-Air-Piloten, der es schaffte, sein Flugzeug sicher auf dem Hudson River in New York zu landen, wobei alle Passagiere überlebten? Das lag nicht daran, dass er über sein Flugzeug oder den Hudson River mehr wusste als andere. Es lag einfach an seiner jahrelangen Erfahrung und Übung. Wenn man nie richtig geübt hat, auch unter schwierigen Bedingungen finanzielle Entscheidungen zu treffen, wird man es kaum schaffen, seinen Flieger sicher zu landen. Ständige Wiederholung hilft dabei, die Nerven zu bewahren.
Nun höre ich momentan von vielen Investoren: ‘Die strategische, langfristig angelegte Asset Allocation funktioniert nicht mehr. Es lebe die taktische Asset Allocation.‘ Was meinen Sie dazu?
Das ist die große Frage und eigentlich die einzige, die wirklich zählt. Ich glaube nicht, dass die strategische Asset Allocation tot ist. Anleger bringen hier einiges durcheinander. Sie dachten, dass Diversifizierung heißt, unkorrelierte Anlagen in einem Portfolio zu kombinieren, dass keinen Wertverlust erleiden würde. Man ist aber nicht diversifiziert, wenn man nicht auch etwas hält, das weh tut. Außerdem gab es noch nie eine Finanzkrise, in der die Korrelationen nicht auf bis zu 1 angestiegen sind. In Zeiten, in denen die Welt nahe am Abgrund scheint, verliert fast alles an Wert. So geschehen 1973-74, 1929, 1907 usw. Diversifizierung kann eines bewirken. Sie ist aber kein Zaubermittel. Wenn es heißt, die Diversifizierung hätte versagt, ist das eine sehr merkwürde Definition von Versagen. Diversifizierung bedeutet nicht, dass eine Anlage steigt, wenn die meisten anderen fallen. Sie bedeutet vielmehr, dass eine Kombination nicht hoch korrelierter Anlagen ein besseres Risiko-Rendite-Profil ermöglicht. Das war auch in der Finanzkrise der Fall. Anleger mit einer Mischung aus Aktien und Anleihen schnitten besser ab als reine Aktienanleger. Außerdem sind nicht alle Aktien gleich stark gefallen. Das ist das Wesen der Diversifizierung: Man bekommt unterschiedlich hohe Renditen. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass alle positiv ausfallen. Diversifizierung ist keine Versicherung, sondern ein Instrument der Risikokontrolle.
Letztendlich möchte ich auch darauf hinweisen, dass die Diskussion um die strategische Asset Allocation eines nicht erbracht hat: Beweise dafür, dass etwas anderes besser funktionieren würde. Es gibt keine langjährigen empirischen Daten – und zwar mit tatsächlich investiertem Geld und nicht nur mit Backtests – die das untermauern würden. Es ist leicht zu sagen, was vor kurzem nicht funktioniert hat. Das heißt aber nicht, dass plötzlich all das funktioniert, was in der Vergangenheit nie funktionierte.
Wie stehen Sie zu passiven Investments? Warum glauben Sie, dass diese sinnvoll sein können?
Dafür gibt es viele Gründe. Zunächst einmal ist das Leben endlich. Wenn ich einen guten Manager gefunden habe, kann mir keiner garantieren, ob er in 30 Jahren oder wie lange auch immer ich investieren möchte, noch da ist. Traue ich ihm oder ihr zu, bei der Wahl eines Nachfolger genauso gut zu sein wie beim Investieren selbst? Ein weiterer Grund ist, dass Indizes helfen, einige der größten Anlegerfehler zu minimieren. Computer beispielsweise wollen keinen Bonus verdienen und lassen sich daher nicht dazu verleiten, aus Renditegier zu viel Risiko einzugehen.
Es ist schwierig, mit der eigenen Aktienauswahl den Markt zu schlagen. Es ist meiner Meinung sogar noch schwieriger, eine Vergleichsgruppe zu übertreffen. Dies mag an Volumenseffekten liegen: ‚Dieser Manager war gut darin, einen kleinen Fonds zu verwalten. Wie wird er mit einem gestiegenen Fondsvolumen zurechtkommen?‘ Hohe Zuflüsse kommen für manche Fonds einem Todesstoß gleich. Erfolg kann außerdem zu Selbstzufriedenheit führen: Wer schon viel Geld gemacht hat, lehnt sich vielleicht lieber zurück und geht segeln. Das wird natürlich niemand zugeben, so dass es sehr schwierig ist, einen guten Manager zu finden. Ein weiterer gewichtiger Faktor ist, dass vieles einfach eine Glücksfrage ist. Das wird von vielen Anlegern nicht wahrgenommen, da es Unbehagen verursacht. Ich sage nicht, dass aktives Management schlecht oder sinnlos ist und dass alle diejenigen, die in aktive Fonds investieren, eine Dummheit begehen. Ich sage nur, dass es sehr, sehr schwierig ist, eine gute Wahl zu treffen. Vermutlich funktioniert es am besten, wenn man einen Manager findet, der die Welt mit ähnlichen Augen sieht wie man selbst. In diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit wohl am höchsten, dass man bei der Stange bleibt. Ähnlich wie Morningstar habe ich mich viel mit geldgewichteten Renditen beschäftigt – im Gegensatz zu den offiziellen, zeitgewichteten Renditen berücksichtigen diese, wann Anleger tatsächlich investiert waren. Die Fondsbranche streitet oft um ein paar Basispunkte hier und dort. Die wirklichen Unterschiede aber bestehen zwischen der offiziellen Rendite und dem, was der Anleger letztlich verdient hat (Anlegerrendite). Hier gibt es oft eine große Lücke, die zu Lasten der Anleger geht. Diese Lücke lässt sich am besten schließen, wenn Anleger Fonds finden, mit denen sie sich wohl fühlen. Hier kommt das aktive Management dann doch wieder ins Spiel. Ein charismatischer, redegewandter, dynamischer und zuversichtlicher Fondsmanager findet eher loyale Anleger als ein Computerprogramm. Indexfonds haben keine ‚Persönlichkeit‘. Loyalität ist sehr wichtig. Im Zweifel fahren viele Anleger besser mit einem mittelmäßigen Fonds, dem sie treu bleiben, als mit vielen großartigen Fonds, die sie aber zu den ungünstigsten Zeitpunkten kaufen und verkaufen.
Dieses Interview erschien ursprünglich auf www.morningstar.com.