Nach dem historischen Ausverkauf europäischer Staatsanleihen in der letzten Woche fragen sich viele Strategen und Manager, ob es jemals wieder so sein wird wie früher. Dass sich eine Abkehr von der jüngsten Geschichte der Anleihemärkte anbahnt, zeigt sich daran, dass die Renditen in der Eurozone steigen, während die von US-Staatsanleihen fallen. Und da sich die Kurse in die entgegengesetzte Richtung der Renditen bewegen, sind die Kurse von Bundesanleihen, BTP und anderen Euro-Anleihen gefallen, während sie in Übersee gestiegen sind.
Um sich zu orientieren, müssen Anleger darauf achten, was die Kurse und Renditen von Staatsanleihen in Europa und den USA antreibt:
1) In der Eurozone steigen die Renditen aufgrund der Erwartung einer verstärkten Emission von Staatsanleihen nach dem Ende der deutschen “Schuldenbremse”. Darüber hinaus gehen die Märkte davon aus, dass auch andere Regierungen des Kontinents ihre Verteidigungsausgaben erhöhen müssen, da einige von ihnen, wie Frankreich und Italien, Schwierigkeiten haben, ihre Haushalte auszugleichen.
2) In den Vereinigten Staaten sinken die Renditen, weil es “wachsende und berechtigte Sorgen um das Wachstum und die wirtschaftliche Stabilität gibt”, sagt Dominic Pappalardo, Chefstratege für Multi-Asset-Anlagen bei Morningstar Investment Management, der darauf hinweist, dass viele Anleger nach den starken Rückgängen am Aktienmarkt zu einer “risikoarmen” Haltung übergegangen sind. “Die anhaltende Inflation”, so Pappalardo, “könnte jedoch einen weiteren Rückgang der Renditen von US-Schatzpapieren dämpfen.” Tatsächlich wird die Renditekurve steiler, weil “die langfristigen Zinsen [die empfindlicher auf hohe Inflation reagieren] nicht so schnell gefallen sind wie die kurzfristigen”.
Wie hoch ist die Rendite von BTPs, Bundesanleihen und US-Staatsanleihen?
Die Renditen deutscher Bundesanleihen, der als risikofrei geltenden Benchmark-Staatsanleihen in der Eurozone, stiegen letzte Woche, nachdem der neue Bundeskanzler Friedrich Merz angekündigt hatte, dass Deutschland die Verteidigungsausgaben erhöhen und die Haushaltspolitik von der Schuldengrenze befreien werde. Dieser Schritt wirkte sich auf die Renditen von Staatsanleihen der Eurozone, einschließlich BTPs, aus und führte zu anhaltenden Verkäufen an den Anleihemärkten.
“Am Dienstag [4. März] kündigte Merz eine dramatische Änderung der Finanzpolitik an und ebnete damit den Weg für eine Annäherung der amerikanischen und europäischen Zinssätze”, erklärt Flavio Carpenzano, Fixed Income Investment Director bei Capital Group, gegenüber Morningstar. “Die Marktreaktion war schnell und entschlossen: Am Mittwoch [5. März] stiegen die Renditen deutscher Bundesanleihen um 30 Basispunkte und verringerten den Abstand zwischen den 10-jährigen US-Renditen und den 10-jährigen deutschen Renditen drastisch.
Die Rendite der deutschen 10-jährigen Bundesanleihe liegt derzeit bei 2,9%, nachdem sie sich in den letzten Tagen der 3%-Marke genähert hatte; Ende Februar waren es 2,38%. Die Rendite der italienischen BTP mit gleicher Laufzeit liegt bei 3,9%, im Vergleich zu 3,47% Ende letzten Monats. Der Spread, d.h. die Differenz zwischen den beiden Anleihen, liegt bei etwa 107 Basispunkten und blieb im Vergleich zu historischen Werten recht gering, was darauf hindeutet, dass sich die deutschen Konjunkturmaßnahmen positiv auf das italienische Wachstum auswirken könnten.
Nach dem historischen Einbruch der Kurse europäischer Staatsanleihen - und dem Anstieg der Renditen - könnte es kurzfristig zu einer Phase der Volatilität kommen, so Florian Spaete, Senior Bond Strategist bei Generali Investments, der neue Höchststände der Bundrendite bei 3% nicht ausschließt, auch wenn sich “die deutsche Zehnjahresrendite im Laufe des Jahres zwischen 2,4% und 2,7% einpendeln dürfte”.
Trotz der jüngsten Bewegungen liegen die Renditen der Staatsanleihen in der Eurozone nach wie vor unter denen der 10-jährigen US-Staatsanleihen (4,3%).
EZB-Fed: Divergierende Geldpolitik
Die Entwicklung der deutschen Bundesanleihe muss im breiteren Kontext der aktuellen geldpolitischen Phase gesehen werden. Am Donnerstag, dem 6. März, senkte die Europäische Zentralbank die Zinsen um 25 Basispunkte, wie von den Märkten allgemein erwartet, und brachte den Einlagensatz auf 2,5%. Von Juni 2024 bis heute hat die EZB die Leitzinsen sechsmal gesenkt, und zwar von 4% auf das derzeitige Niveau.
In den USA hingegen hat die Notenbank Federal Reserve die Leitzinsen im Jahr 2024 nur dreimal gesenkt und sie von 5,25%-5,50% in den Bereich von 4,25%-4,50% gebracht. Die erste Senkung fand im September statt, zwei weitere folgten im November und Dezember. Infolgedessen sind die Zinsen in den USA derzeit höher als in der Eurozone.
Zölle, Verteidigungsausgaben und Rezessionsrisiken: Was bedeutet das für Staatsanleihen
Die Märkte schauen nicht nur auf die aktuelle Situation, sondern auch auf die wirtschaftlichen und finanziellen Aussichten auf beiden Seiten des Ozeans. Vor diesem Hintergrund müssen Anleger abschätzen, wie sich die von US-Präsident Donald Trump angekündigten Zölle, die erhöhten Verteidigungsausgaben in Europa und ein möglicher Frieden in der Ukraine auswirken könnten.
Die US-Wirtschaft hat sich bisher als widerstandsfähiger erwiesen als die der Eurozone: Das Bruttoinlandsprodukt der USA wuchs im vierten Quartal um 2,3% gegenüber dem Vorjahr, während es diesseits des großen Teichs um 0,2% zulegte. Getrübt werden die Zukunftsaussichten jedoch durch die von Trump angedrohten oder bereits umgesetzten Zölle auf wichtige Handelspartner und die Auswirkungen, die sie auf die Inflation, sowie die Beschäftigung haben könnten. Bei letzterer sind die Auswirkungen des massiven Stellenabbaus der Bundesregierung noch nicht erkennbar.
Auch wenn die Federal Reserve die Zinssätze in den nächsten Monaten unverändert lassen könnte, weil die Inflation weit vom 2%-Ziel entfernt ist, muss sie möglicherweise die Kosten des Geldes senken, um die Wirtschaft zu stützen. Diese Hypothese sollte nach Trumps Äußerungen der letzten Tage über die Möglichkeit einer Rezession in den USA nicht völlig ausgeschlossen werden.
Auf jeden Fall sehen die Anleihe-Futures-Märkte eine 97%-ige Wahrscheinlichkeit, dass die Zentralbank auf ihrer Sitzung am 19. März die Zinssätze in der derzeitigen Spanne von 4,25% bis 4,50% belassen wird.
Die “neuen” Risiken der Eurozone
In der Eurozone revidierte die EZB auf ihrer letzten Sitzung am 6. März ihre Wachstumsprognose nach unten und ihre Inflationsprognosen nach oben, änderte aber auch den Schwerpunkt ihrer Rede und erklärte, dass die Geldpolitik “deutlich weniger restriktiv” werde, was bedeute, dass sich das Ende der Lockerungsphase nähere.
Im Wesentlichen ist die EZB mit drei neuen Risiken konfrontiert:
- Inflation: Die Auswirkungen der erhöhten Verteidigungsausgaben in Deutschland und der Europäischen Union sind in den aktuellen Prognosen noch nicht vollständig berücksichtigt.
- US-Zölle: Einerseits könnten sie sich negativ auf das Wachstum auswirken und weitere Zinssenkungen zur Stützung der Wirtschaft erforderlich machen, andererseits könnten sie diese überhitzen, indem sie die EZB zu einer Verteuerung des Geldes veranlassen.
- Markterwartungen: “Die Anleger haben immer noch 40 Basispunkte an Zinssenkungen bis Ende des Jahres eingepreist, aber die neue Sprache der EZB ist ein klares Signal, dass die Notenbank früher als erwartet aufhören könnte”, sagt Carlo De Luca, Investmentmanager bei Gamma Capital Markets.
Was bedeutet dieses Szenario für Anleger, die Staatsanleihen kaufen wollen?
In der letzten Woche mussten Anleger in Euro-Staatsanleihen, einschließlich italienischer BTP, aufgrund des starken und plötzlichen Renditeanstiegs Kursverluste hinnehmen. Mit Blick auf die Zukunft jedoch könnten Anleger in Anleihen der Eurozone von attraktiveren Renditeerwartungen bei lokalen Staatsanleihen profitieren. “Da die Renditen deutlich gestiegen sind, hat sich auch das Ertragspotenzial verbessert”, erklärt Morningstar-Mitarbeiter Pappalardo. “Darüber hinaus können europäische Festverzinsliche jetzt größere Vorteile als Risikoausgleich im Vergleich zu einem Aktienengagement bieten, da es Spielraum für fallende Renditen (und steigende Kurse) gibt, falls es zu einem Abschwung am Aktienmarkt kommen sollte.”
Das Gegenteil ist in den USA der Fall, wo Anleger in den letzten Wochen Kursgewinne und fallende Anleihenrenditen verzeichnen konnten, was, so Pappalardo, “für Anleger mit diversifizierten Portfolios von größter Bedeutung war, da es einen gewissen Ausgleich für den erheblichen Rückgang des Aktienmarktes geschaffen hat.”
Wo kann man bei Staatsanleihen nach Rendite suchen?
Diese gegensätzlichen Trends auf beiden Seiten des Ozeans führen zu einer historischen Verschiebung bei den Entscheidungen der Anleger. “Einige wechseln von US-Staatsanleihen zu Euro-Anleihen, um die jetzt verfügbaren höheren Renditen zu erzielen. Das ist gewissermaßen das Gegenteil der jüngeren Vergangengheit, als US-Zinsen deutlich höher waren als Euro-Zinsen, was Anleger zwang, ihr Kapital in US-Treasuries auf Kosten von Euro-Anleihen anzulegen”, fügt der Morningstar-Stratege hinzu.
Nicolò Bragazza, stellvertretender Portfoliomanager bei MIM, erinnert jedoch an die Bedeutung von US-Staatsanleihen als “Zufluchtsort in Zeiten von Finanzmarktstress”. Diese Anleihen “bleiben trotz der großen Ungewissheit über die Handels- und Steuerpolitik der Trump-Administration attraktive Instrumente, um die Diversifizierung des Portfolios zu erhöhen”, sagt Bragazza, der zudem betont, wie wichtig es für einen europäischen Anleger ist, zu entscheiden, ob er den Euro-Dollar-Wechselkurs absichert oder nicht, “da er einen zusätzlichen Risikofaktor darstellt, der das Risiko- und Ertragsprofil der Anlage erheblich verändern kann”.
Wie sind die Zukunftsaussichten auf den Märkten für Staatsanleihen?
Die Aussichten an den Anleihemärkten bleiben sowohl in der Eurozone als auch in den USA etwas unsicher.
“Wir erwarten, dass die Renditekurve in Europa in Erwartung weiterer Emissionen zur Finanzierung der neuen Fiskalpolitik steiler wird”, sagt Carpenzano von Capital Group, der auch darauf hinweist, dass der Euro seit der Ankündigung des neuen deutschen Bundeskanzlers gestärkt wurde, “aber seine weitere Entwicklung hängt davon ab, ob der fiskalische Stimulus die potenzielle Belastung durch mögliche Zölle überwinden kann”.
In den USA rechnet Carpenzano mit einer Versteilerung der Renditekurve “vor dem unsicheren Hintergrund einer möglichen Konjunkturabschwächung oder steigender Verschuldungssorgen”. Dieses Szenario könnte weitere negative Auswirkungen auf den Dollar haben, der in den letzten Wochen bereits durch die widersprüchlichen Nachrichten über Zölle belastet wurde.
Der Euro-Dollar-Wechselkurs ist eine Variable, die Anleger berücksichtigen müssen, wenn sie in US-Staatsanleihen investieren wollen. Wenn der Euro gegenüber der US-Währung weiter ansteigt, nachdem er in der letzten Woche den Wert von 1,09 erreicht hat, kann eine Absicherung des Wechselkursrisikos erforderlich sein, um die Auswirkungen der Anleihediversifizierung nicht zunichte zu machen.
Es gibt jedoch auch Stimmen, die Wasser auf die Mühlen der Anleger gießen. Für Matteo Ramenghi, Chief Investment Officer von UBS WM in Italien, ist das Potenzial für eine weitere Aufwertung des Euro “begrenzt”. Umgekehrt ist angesichts der drohenden US-Zölle “ein Rückgang” wahrscheinlich.
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