Die Wahrnehmung der Investoren von Schwellen- und Grenzmärkten (eng. frontier markets) hat sich seit der Pandemie vielleicht von „dynamisch und aufregend“ zu „riskant und enttäuschend“ gewandelt, aber die Klassifizierung selbst bleibt relativ unverändert.
Für den Kauf von Aktien und Fonds aus Schwellenländern ist kein Bewusstsein für Benchmarks erforderlich. Dennoch sind Benchmarks ein nützlicher Ausgangspunkt. Grundsätzlich kategorisiert der Indexprovider MSCI Länder als entwickelte Länder, Schwellenländer und Grenzmärkte. Einige Länder wie Argentinien haben auch einen „Standalone“-Status.
Das Risikospektrum reicht von entwickelten (am wenigsten riskant) über Schwellenländer bis hin zu Grenzmärkten (am riskantesten).
Was macht ein Land zu einem Schwellenland?
• Größe und Liquidität der Kapitalmärkte
• Governance-Standards
• Politische Stabilität
• Zugang zum Aktienmarkt für ausländische Investoren
Die Volkswirtschaften Indiens und Chinas mögen zwar größer sein und schneller wachsen als im Westen, doch die Kapitalmärkte dieser Länder gelten als weniger fortschrittlich als beispielsweise in Europa, Nordamerika und Japan.
Für Investoren ist es am praktischsten, die 23 Länder von Brasilien bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten in einem Paket -- "Schwellenländer"-- zusammenzufassen. So wissen Investoren, was sie kaufen, und Fondsgesellschaften können die Performance von Fonds besser vermarkten und bewerten.
Was sind Grenzmärkte?
Wenn wir uns entlang des Risiko- und Entwicklungsspektrums weiter nach aussen bewegen, gelangen wir zu den Grenzmärkten, die, wie der Name schon sagt, an der Schwelle zu den Schwellenmärkten stehen. Der Grenzmarkt Vietnam beispielsweise wird seit Jahren als Anwärter auf eine Beförderung gehandelt und hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 ein Schwellenmarkt zu werden. Weitere Beispiele für Grenzmärkte sind Nigeria und Sri Lanka.
Kapital fließt in größerem Umfang in Schwellenländer. Auch sind Frontier-Fonds und weniger zahlreich, eher Nischenprodukte und weniger liquide.
Einige Mitglieder der Grenzmärkte mögen für Investoren rätselhaft erscheinen: Island, mit einem der höchten BIP-pro-Kopf-Werte Europas, steht auf der Frontier-Liste, ebenso wie Kroatien, immerhin ein Mitglied der Eurozone. Zwar besteht oft eine Korrelation zwischen dem Status eines Landes und seiner wirtschaftlichen Entwicklung, doch manchmal ist diese Korrelation nicht offensichtlich. Im Falle Islands ist der Kapitalmarkt viel kleiner als beispielsweise der des Vereinigten Königreichs oder Deutschlands, mit 27 an der Nasdaq Island notierten Unternehmen. In diesem Fall ist die Einstufung als Grenzmarkt kein Werturteil über die Wirtschaftskraft eines Landes.
Das Problem mit Schwellen- und Grenzmärkten
• China dominiert und zieht letztens die Schwellenländer nach unten
• Alternative Machtzentren entwickeln sich, während sich die Welt verändert
• Aktienindizes konzentrieren sich auf China und Indien
• Es gibt kuriose Ausnahmen, zB Island und Kroatien
• Die Performance hinkt zuletzt den entwickelten Märkten hinterher
• Wenn die globalen Märkte fallen, leiden auch die Schwellenländer
• ESG-Investoren könnten mit der Aufnahme einiger Länder Schwierigkeiten haben
Die chinesischen Aktienmärkte haben seit 2020 Mühe, mit der Performance der USA mitzuhalten-- das ist ein Problem, da fast 25% des Morningstar EM Index auf das Land entfallen. Ein gutes Jahr für China steigert wiederum die Leistung der Schwellenländerindizes. Aktive Fondsmanager können diese Länder unterschiedlich gewichten, aber passive Produkte verlassen sich auf China als Motor der Schwellenländer. Indien hat eine Outperformance erzielt und wurde im Mai dieses Jahres stärker gewichtet.
Ein weiteres Problem ist die Verschiebung der „Einflusssphären“ in der Entwicklungswelt: Russlands Invasion in der Ukraine hat die Loyalitäten neu ausgerichtet, während Saudi-Arabien – seit 2019 ein neues Mitglied der Schwellenländer – nun einen übergroßen Einfluss auf die Weltpolitik hat, auch wenn die Abhängigkeit des Westens vom Öl abnimmt.
BRICS fahren an die Ziegelwand
Fondsgesellschaften verkauften früher „BRICS“-Fonds als eine Art Turbo-Schwellenmarkt-Strategie, aber die Performance hat enttäuscht und Russlands Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 führte zur Streichung des Landes aus den EM-Indizes. Die Idee einer rivalisierenden Machtbasis galt als überflüssig, bis Südafrika, Mitglied eines anderen Machtblocks, der G20, einige Ergänzungen vorschlug, um die Idee wiederzubeleben. Im vergangenen Jahr kamen neben Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika fünf neue BRICS-Staaten hinzu:
• Iran
• Vereinigte Arabische Emirate
• Saudi-Arabien
• Äthiopien
• Ägypten
Die Türkei, ein bisher kleiner Bestandteil des Schwellenländer-Index, wird als sechster BRICS-Staat vorgeschlagen.
Manche dieser Länder sind direkt oder indirekt in die größten Konflikte der Welt verwickelt und unterliegen verschiedenen Sanktionen des Westens. Daher wenden einige Anleger einen ethischen Filter an, um den Korb der „Schwellenländer“ einzugrenzen.
Möglichkeiten, sich Schwellenländern zu nähern
Was bedeutet das für Anleger, die zum Beispiel Brasilien optimistisch, China aber skeptisch gegenüberstehen?
Ein Ansatz besteht darin, auf einzelne Märkte zu wetten: Fonds, die in ein einzelnes Land investieren, sind beliebt und liquide, können aber im Falle einer Krise riskant sein, was bei Investitionen in Schwellenländer häufig der Fall ist. Die Türkei beispielsweise hat 2024 eine boomende Wirtschaft, erlebte aber 2016 einen versuchten Militärputsch und hat regelmäßig Währungskrisen.
Fonds für Schwellen- oder Grenzmärkte wären theoretisch diversifizierter: Eine Krise in einem Land könnte durch eine erstaunliche Leistung in einem anderen Land ausgeglichen werden. In der Realität kommt es jedoch zu ansteckenden Krisen, die viele Länder gemeinsam in den Abgrund ziehen – und das ist die Gefahr von regionalen Fonds. Lateinamerika, derzeit aufgrund der Rohstoffnachfrage eine „heiße“ Region, hat viele Boom-and-Bust-Zyklen erlebt.
Wenn ein Investor in einen Fonds investiert, lohnt es sich, genau zu prüfen, in welche Länder der Fonds investiert. Neben der Länderkonzentration gibt es auch eine beträchtliche Unternehmenskonzentration, wobei Taiwan Semiconductor Manufacturing (2330), Chinas Tencent (00700) und Alibaba (BABA) sowie das südkoreanische Unternehmen Samsung (005930) die wichtigsten Namen in vielen Portfolios sind. Hier trifft die Bezeichnung „Schwellenland“ nicht mehr wirklich zu: Samsung, eine globale Elektronikmarke, ist doppelt so groß wie das größte britische Unternehmen, AstraZeneca (AZN).