EZB senkt Zinsen bei schwächerem Wachstumsausblick und tieferer Inflation

Die Europäische Zentralbank hat ihre Prognose für die Kerninflation in den Jahren 2024 und 2025 leicht angehoben.

Antje Schiffler 12.09.2024
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Christine Lagarde
Die Europäische Zentralbank hat am Donnerstag wie erwartet die Zinssätze gesenkt. Die Einlagefazilität wurde um 0,25 Prozentpunkte auf auf 3,5% gesenkt. Der Hauptrefinanzierungssatz und der Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität wurden im Rahmen einer neuen Regelung für die Spreads zwischen den drei Zinssätzen der EZB um jeweils 0,60 Prozentpunkte auf 3,65% bzw. 3,90% gesenkt.

Die Entscheidung der Bank war einstimmig, fügte Präsidentin Christine Lagarde in ihrer Pressekonferenz in Frankfurt hinzu.

Auf ihrer heutigen Sitzung hat die EZB auch ihre Wachstumsprognose leicht gesenkt, während sie die Prognose für die Gesamtinflation unverändert ließ und ihre Prognose für die Kerninflation in diesem und im nächsten Jahr anhob.

Die Bank begann ihren Zinssenkungszyklus im Juni, pausierte aber im Juli.

„Nach der ersten Zinssenkung im Juni hat sich die EZB klugerweise ein paar Monate Zeit gelassen, um sich zurückzulehnen und die Auswirkungen zu beobachten. Ihr Standpunkt ist klar: Es ist besser, sich langsam und stetig in eine Richtung zu bewegen, als sich zu schnell zu bewegen und unterwegs den Kurs ändern zu müssen“, kommentierte Morningstar-Stratege Michael Field und fügte hinzu, dass die Wirtschaftsdaten seit Juni diesen Kurs bestätigt haben.

„Die Inflation hat sich hin und her bewegt, ist aber schließlich auf ein Niveau gefallen, das dem Ziel der Zentralbank sehr nahe kommt, während das Wirtschaftswachstum zwar positiv, aber schwach geblieben ist“, so Field weiter.

Spreads zwischen den Zinssätzen soll fallen

Die Bank kündigte Anfang des Jahres an, dass der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte so angepasst wird, dass der Abstand zwischen dem Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft und dem Zinssatz für die Einlagefazilität von derzeit 50 Basispunkten auf 15 Basispunkte verringert wird.

Die Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, lehnte es ab, den Zinssenkungspfad der Bank im Detail zu erläutern und wiederholte damit frühere Aussagen, wonach der EZB-Rat einen datenabhängigen Ansatz verfolgen wird, der von Sitzung zu Sitzung festgelegt wird.

Ab dem 18. September werden die drei EZB-Leitzinsen bei folgenden Werten liegen:

  • Hauptrefinanzierungssatz: 3,65%, gesenkt von 4,25%

  • Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität: 3,9%, von 4,50% gesenkt

  • Zinssatz für die Einlagefazilität: 3,50%, anstelle von 3,75%

Der wichtigste Zinssatz ist derzeit der Zinssatz für die Einlagefazilität, der die Zinsen festlegt, die Banken für die Einlage von Geld bei der Zentralbank über Nacht erhalten. Er ist auch der wichtigste Zinssatz für Sparer, da er sich direkt auf die verzinsten Spar- oder Girokonten auswirkt.

 

 

Europäische Aktien waren unverändert bis tiefer. Der Euro stieg etwas gegenüber dem Dollar.

Dies ist die zweite Zinssenkung für die Einlagefazilität innerhalb von fünf Jahren, nach der ersten Senkung im Juni, während die beiden anderen Zinssätze zuletzt 2015 zurückgenommen wurden. Dies folgt auf 10 Zinserhöhungen, seit die in Frankfurt ansässige Institution ihren Zinserhöhungszyklus im Juli 2022 begann.

85% der von Reuters befragten Ökonomen hatten die Zinssenkung erwartet, und eine große Mehrheit rechnet nun im Dezember mit einer dritten Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte in diesem Jahr.

Die Märkte rechneten Anfang der Woche indes mit fast vier Zinssenkungen im Jahr 2024 und preisten damit einen weiteren Schritt im Oktober als einigermaßen wahrscheinlich ein. 

 

 

EZB senkt Wachstumsausblick, Kerninflation höher erwartet

Den jüngsten von Experten des Eurosystems erstellten Projektionen zufolge wird die Gesamtinflation im Jahr 2024 durchschnittlich 2,5%, im Jahr 2025 2,2% und im Jahr 2026 1,9% betragen, wie in den Projektionen vom Juni. „Es wird erwartet, dass die Inflation in der zweiten Hälfte dieses Jahres wieder ansteigt, unter anderem weil die vorhergehenden starken Rückgänge der Energiepreise aus den jährlichen Raten herausfallen werden. Die Inflation dürfte dann in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres in Richtung unseres Ziels zurückgehen. Für die Kerninflation wurden die Projektionen für 2024 und 2025 leicht nach oben korrigiert, da die Inflation bei den Dienstleistungen höher war als erwartet. Gleichzeitig rechnen die Experten weiterhin mit einem raschen Rückgang der Kerninflation, von 2,9% in diesem Jahr auf 2,3% im Jahr 2025 und 2,0% im Jahr 2026.“

„Die inländische Inflation bleibt hoch, da die Löhne immer noch in einem hohen Tempo steigen. Der Druck auf die Arbeitskosten lässt jedoch nach, und die Gewinne federn die Auswirkungen der höheren Löhne auf die Inflation teilweise ab. Die Finanzierungsbedingungen sind nach wie vor restriktiv, und die Wirtschaftstätigkeit ist aufgrund des schwachen privaten Verbrauchs und der schwachen Investitionen nach wie vor gedämpft.“

Die Experten gehen davon aus, dass die Wirtschaft im Jahr 2024 um 0,8%, im Jahr 2025 um 1,3% und im Jahr 2026 um 1,5% wachsen wird. Dies ist eine leichte Abwärtskorrektur im Vergleich zu den Projektionen vom Juni, hauptsächlich aufgrund eines schwächeren Beitrags der Binnennachfrage in den nächsten Quartalen. Im Juni erwartete die Bank 0,9% Wachstum in 2024, 1,4% in 2025 und 1.6% in 2026. 

Zinssenkung der Fed nächste Woche erwartet

Die EZB handelte vor ihrem US-amerikanischen Pendant, von dem erwartet wird, dass es bei seiner nächsten Sitzung am 18. September eine Zinssenkung einleiten wird. „Angesichts der sich normalisierenden Inflation gibt es wenig Grund, die Zinssätze auf einem sehr restriktiven Niveau zu halten, was das Risiko einer Rezession birgt“, sagt Preston Caldwell, Chefökonom für die USA bei Morningstar.

Die Schweizer Nationalbank war die erste große Bank, die im März eine Zinssenkung ankündigte, gefolgt von der schwedischen Riksbank im Mai. Die Bank of England hingegen war die letzte große europäische Zentralbank, die die Zinsen senkte, als sie ankündigte, die Zinsen am 1. August auf 5% zu senken. Eine weitere Zinssenkung der BoE am 20. September würde die Märkte überraschen.

Wie weit werden die Zinssätze fallen?

Morningstar's Field sagt: „Das Risiko einer Überhitzung der Wirtschaft aufgrund weiterer Zinssenkungen scheint gering zu sein, was darauf hindeutet, dass die Erwartung der Ökonomen von einer weiteren Zinssenkung vor Ende des Jahres sehr wahrscheinlich ist. Das Muster der EZB, die Zinsen zu senken, zu beobachten und zu wiederholen, wird sich wahrscheinlich fortsetzen."

Die meisten Analysten erwarten, dass die EZB ihren Zinssenkungszyklus mit drei oder mehr Zinssenkungen um 0,25 Prozentpunkte bis September 2025 fortsetzen wird. Fidelity rechnet mit drei weiteren vierteljährlichen Zinssenkungen im Jahr 2025, so dass der Zinssatz im September 2025 auf ein Ziel von 2,50% sinken wird, so Carsten Roemheld im Gespräch mit Morningstar vergangene Woche.

Die Analysten der DWS stimmen dem zu. Im Jahr 2025 werden die Zinsen vierteljährlich um 25 Basispunkte sinken, bis der Zielzinssatz von 2,50% im September 2025 erreicht ist, prognostiziert Ulrike Kastens, European Economist bei der DWS. Der EZB-Rat wird auf jeden Fall vermeiden wollen, die Zinsen zu schnell zu senken und damit einen erneuten Anstieg der Inflation in Kauf zu nehmen, sagte sie am 5. September in einem Interview mit Morningstar.

Bastian Freitag, Head of Fixed Income Germany bei Rothschild & Co, sagte, er rechne ebenfalls mit Zinssenkungen von jeweils 25 Basispunkten im September und Dezember sowie mit weiteren vierteljährlichen Schritten im Jahr 2025. Obwohl die Inflation Ende des Jahres aufgrund von Basiseffekten wahrscheinlich wieder leicht anziehen wird, bewegt sich die Rate allmählich in Richtung 2%, sagte er. Risiken ergeben sich aus der Inflation der Dienstleistungspreise, den Ölpreisen, einem leichten Anstieg des Geldmengenwachstums und der Lohnentwicklung, sagte Freitag am 5. September gegenüber Morningstar.

Wie werden sich Zinssenkungen auf die Märkte auswirken?

Die Aktienmärkte tendieren dazu, bei erwarteten Zinssenkungen zu steigen. An den Anleihemärkten bedeuten sinkende Zinssätze niedrigere Renditen, was die Anleihekurse nach oben treibt. Niedrigere Zinssätze machen auch bestehende Anleihen, insbesondere solche, die bereits während einer Hochzinsphase ausgegeben wurden, attraktiver für Renditen.

In der Zwischenzeit werden die Sparzinsen auf Bankkonten wahrscheinlich sinken, zum Nachteil der Sparer. Die Zinssätze, die Sparer erhalten, hängen größtenteils von der Einlagefazilität ab, die die Zinsen festlegt, die Banken für die Einlage von Geld bei der EZB über Nacht erhalten.

Kreditnehmer hingegen werden von niedrigeren Zinsen profitieren, da Verbraucherschulden und Hypotheken billiger werden. 

STICHWÖRTER
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Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.