Warum Value Investing funktioniert

Das Geheimnis von Value Investing besteht darin, dass es auch dann erfolgreich sein kann, wenn sich das Sentiment nicht ändert

John Rekenthaler 29.06.2023
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Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Autoren von Investment-Ratgebern ihre Leser für dumm hielten. Mutual Funds for Dummies war der Klassiker der Branche (acht Auflagen!), während The Pocket Idiot's Guide to Investing in Mutual Funds diejenigen bediente, die unter Zeitdruck standen. Für hoffnungslose Fälle gab es The Complete Idiot's Guide to Making Money with Mutual Funds. Persönliche Finanzen für alle Arten von Dummköpfen!

Ein Stück weit versucht das auch dieser Artikel, auch wenn solche Schmeicheleien aus der Mode gekommen sind. Manchmal ist es nützlich - auch für den Autor -, ein Thema von Grund auf zu betrachten und die zugrunde liegenden Annahmen zu untersuchen. Heute geht es um Value Investing. Die wissenschaftliche Forschung zeigt, dass der Kauf billiger Aktien schon so lange floriert, wie es Daten dafür gibt. Warum?

Die landläufige Erklärung ist die Stimmung, das Sentiment. Was jetzt unbeliebt ist, wird später zu seinem Recht kommen. Das stimmt. Value Investing profitiert ohne Zweifel, wenn das Unpopuläre populär wird. Aber das ist nur das i-Tüpfelchen, nicht der Kern. Das Geheimnis des Value Investing ist, dass es auch dann erfolgreich sein kann, wenn das Sentiment unverändert bleibt.

Warum Value-Aktien auch dann erfolgreich sein können, wenn der Markt seine Preise nicht neu bewertet, zeigt das Beispiel zweier Anleihen, die jeweils zu einem Nennwert von 1.000 Euro und einer Rendite von 5 Prozent ausgegeben werden. Eine der Anleihen bleibt bei ihrem Nennwert, die andere nicht. Aus welchem Grund auch immer - vielleicht wegen politischer Instabilität oder Währungsschwäche - sinkt der Kurs der Anleihe, so dass sie mit 800 Euro gehandelt wird. Sie wird eine Wertanleihe.

Die Geschichte zweier Investoren

Betrachten wir nun zwei Investoren. Der erste ist ein konventioneller Investor. Er hat 20.000 Euro zur Verfügung und kauft mit dem Geld 20 Stücke der Anleihe, die zum Nennwert gehandelt wird. Als Gegenleistung für sein Investment erhält er jährlich 1.000 Euro an Kuponzahlungen. Der zweite Investor ist ein Value-Investor. Er investiert seine 20.000 Euro in die abgewerteten Anleihe. Da dieses Wertpapier zu 800 Euro gehandelt wird, erhält er für seine Transaktion 25 statt 20 Stücke. Er erhält also jährliche Zahlungen in Höhe von 1.250 Euro und ist damit 25 Prozent besser gestellt als der konventionelle Investor.

Und so wird es bleiben, solange die beiden Wertpapiere ihre Preise beibehalten. Das Unternehmen, das die Anleihen des Value Investors ausgegeben hat, muss sein Image nicht aufpolieren. Aber natürlich wäre das eine gute Nachricht für den zweiten Anleger, wenn es dies täte. Würde dieses glückliche Ereignis eintreten, hätte er die angenehme Wahl, weiterhin 1.250 Euro pro Jahr an Rendite zu kassieren oder einen Kapitalgewinn von 4.000 Euro einzustreichen, indem er seine Wertpapiere für 20.000 Euro verkauft. Aber ein solches Glück ist gar nicht nötig. Der Value-Investor braucht keine Vergünstigungen vom Markt, um die Schlacht zu gewinnen.

Natürlich sind Aktien keine Anleihen. Ihre Auszahlungen sind weit weniger sicher. Dennoch ähneln viele Aktien, darunter 85 Prozent der Titel im S&P 500, insofern Anleihen, als sie Dividenden ausschütten. Für solche Wertpapiere gilt das gleiche Prinzip.

Nehmen wir zwei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von jeweils einer Milliarde Euro und einem Nettoeinkommen von 100 Millionen Euro, wovon 30 Millionen Euro als Dividenden ausgeschüttet werden. Die beiden Unternehmen haben jeweils 60 Millionen Aktien ausgegeben. Das erste Unternehmen ist optimistisch bewertet, seine Aktien weisen ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 30 auf. Das zweite Unternehmen ist ein Value-Investment. Seine Aktien haben ein KGV von 15.

Unser konventioneller Anleger kauft Aktien des optimistisch bewerteten Unternehmens. Dieses hat eine Marktkapitalisierung von 3 Milliarden Euro (100 Millionen Euro Gewinn mal das Kurs-Gewinn-Verhältnis von 30). Das bedeutet, dass jede seiner Aktien 50 Euro kostet (3 Milliarden Euro Marktkapitalisierung geteilt durch 60 Millionen Aktien). Mit seinem Investment von 20.000 Euro erhält der Anleger 400 Aktien. Da jede Aktie eine jährliche Dividende von 0,50 Euro zahlt, erhält der Anleger jedes Jahr 200 Euro an Dividenden.

Sie können sich wahrscheinlich denken, worauf diese Geschichte hinausläuft. Da die Aktien des Value-Investors zu einem halb so hohen Kurs-Gewinn-Verhältnis gehandelt werden wie die des konventionellen Investors, halbieren sich auch die Marktkapitalisierung und die Aktienkurse des Unternehmens. Der Value-Investor erwirbt 800 Aktien zu je 25 Euro. Damit erhält er 400 Euro an jährlichen Dividenden, doppelt so viel wie sein Konkurrent.

Einwände

Gegen diese Argumentation gibt es zwei Einwände. Der eine kann leicht abgetan werden, der andere nicht.

Das Argument, das sich leicht ausräumen lässt, ist, dass einige Aktien keine Dividenden zahlen. Fast alle werden dies jedoch irgendwann tun, wenn sie lange genug durchhalten. (Wenn das Unternehmen, das keine Dividende zahlt, nicht bis zur Fälligkeit überlebt, hat keiner unserer hypothetischen Anleger gewonnen. Sie haben beide Geld mit einer Blindgänger-Aktie verloren). Die Berechnungen bleiben also gültig, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung.

Der schwerer wiegende Kritikpunkt ist, dass Aktien, anders als Anleihen, variable Auszahlungen haben. Die einzig wirklich wichtige Überlegung für den Anleihe-Investor, der billig kauft, ist die, ob das Wertpapier sein Geld wert ist, d. h., ob der Emittent trotz der aktuellen Bedenken seinen Verpflichtungen nachkommen wird. Wenn das der Fall ist, hat der Value-Investor Erfolg, solange die Anleihe nicht weiter herabgestuft wird. Bei Aktien dagegen ist die Entwicklung der künftigen Erträge - und damit der künftigen Dividenden - ungewiss. Die teure Aktie kann ihre Dividenden so aggressiv steigern, dass ihre Ausschüttungen die des Value-Investors leicht übertreffen.

Das gilt es zu berücksichtigen. Die Aufgabe des Value-Käufers ist bei Aktien schwieriger als bei Anleihen, weil Value-Investments in Aktien längere Durststrecken durchlaufen. Die Morningstar-Indizes zeigen zum Beispiel, dass große US-Wachstumsaktien in den letzten fünf Jahren ihre Value-Pendants regelrecht verdroschen haben. Das liegt daran, dass die Gewinne der Tech-Giganten selbst die hochtrabendsten Prognosen übertroffen haben. Die Käufer von Wachstumsaktien hatten Recht - und die Käufer von Value-Aktien lagen mit ihrer Skepsis bisher falsch.

Der dritte Weg

So etwas kommt vor. Manchmal liegen Value-Investoren richtig und gewinnen den Wettstreit mit den Growth-Käufern locker. Manchmal liegen sie aber auch falsch, und dann verlieren sie deutlich. Es gibt jedoch auch eine dritte Möglichkeit. Manchmal bleiben die Erwartungen stabil, so dass keine der beiden Parteien im Vergleich zur anderen an Boden gewinnt. In diesem dritten Szenario zeigt Value Investing seine wahre Stärke.

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Über den Autor

John Rekenthaler  is vice president of research for Morningstar.