Die Berichtssaison nähert sich dem Ende und es zeichnet sich ab: Europäische Unternehmen haben ein gutes Quartal hinter sich. Rund 58% der Unternehmen haben die Umsatzprognosen übertroffen, berichtet die UBS. 40% können höhere Gewinne einstreichen, als von Analysten erwartet. Allen voran: Transport und der Bereich Materialien.
"Es hat sich gezeigt, dass der Markt sehr wenig Toleranz für Unternehmen aufbringt, die den Gewinnkonsens verfehlen", schreiben die UBS-Analysten. „Die relative Performance am Ergebnistag war für Unternehmen, die die EPS-Schätzungen verfehlt haben, negativ, und die Auswirkungen stiegen mit dem Ausmaß der Abweichung." Wenn die Erwartungen übertroffen wurden, wurde dies zwar zumeist belohnt, doch die Aufschläge waren relativ gesehen geringer als die Abweichungen nach unten bei negativen Überraschungen.
Generell gilt: Aktien in zyklischen Sektoren mit relativer Preissetzungsmacht performen besser als andere Unternehmen.
Wie die Bank of America (BofA) berichtet, haben 65% der Unternehmen die EPS-Erwartungen und 72% den Umsatz übertroffen (Stand 14. Mai 2022). Dies könnte sich zur zweitbesten Saison seit Beginn der Erhebung in Bezug auf die EPS-Beats werden (nur übertroffen vom 1. Quartal des letzten Jahres). Und es könnte sogar die beste Saison in Bezug auf die Umsatz-Beats werden.
Eine aktuelle Umfrage der BofA unter europäischen Fondsmanagern zeigt: zurzeit erwarten die Befragten ein EPS-Wachstum des Stoxx 600 Q1 von 22% gegenüber dem Vorjahr. Dies würde das vierteljährliche EPS-Wachstum jedoch immer noch auf dem schwächsten Niveau seit dem 4. Quartal 2020 belassen und eine starke Verlangsamung gegenüber der Wachstumsrate von 64% im 4. Quartal bedeuten.
Die Wachstumserwartungen für das EPS des Stoxx 600 für 2022 insgesamt sind von 7% im Januar auf nun 13% gestiegen. Die Erwartungen für das Umsatzwachstum des Stoxx 600 in diesem Jahr sind auf ein Rekordhoch von 11,5% gestiegen, gegenüber 6% im Januar.
Doch der Gesamtmarkt spiegelt diese positiven Unternehmenszahlen nicht so wirklich wider, wie ein Blick auf die Morningstar-Marktindizes zeigt. Der Index für Deutschland lag Ende des 1. Quartals rund 10% unter dem Wert zum Jahrestart. Seitdem ging es noch weiter in den Keller an den Aktienmärkten. Insgesamt steht der deutsche Markt deutlich schwächer da als der europäische Gesamtmarkt, liegt aber noch vor den USA. Zu sehr belastet das schwierige Umfeld.
Zinsen, Inflation und Krieg
Die Inflationsraten steigen und steigen - eine Folge des Krieges in der Ukraine und der Lieferengpässe durch unterbrochene Lieferketten in Folge der Corona-Pandemie.
In den USA kletterte die Preissteigerung auf das höchste Niveau seit 40 Jahren - wobei der Anstieg im April gegenüber dem März leicht abflachte. Die Augen richten sich auf die US-Notenbank.
„Die Inflation hat sich im April verlangsamt, aber dies wird die Zinserhöhungspläne der Fed nicht beeinträchtigen, da wir noch einen langen Weg vor uns haben, bevor wir zuversichtlich sind, dass sich die Inflation wieder normalisiert hat“, sagt Preston Caldwell, Chefökonom von Morningstar in den USA.
Die US-Notenbank hatte Anfang Mai bereits mit einer Anhebung der Zinssätze um einen halben Prozentpunkt reagiert, weitere Schritte werden folgen. "Die Inflation ist zu hoch, und wir verstehen die Schwierigkeiten, die sie verursacht. Wir bewegen uns schnell, um es zu reduzieren", sagte Fed-Chef Jerome Powell auf der Pressekonferenz am 4. Mai.
Anders als die Fed und die Bank of England hat die Europäische Zentralbank die Zinsen vorerst unverändert gelassen. Eine Zinserhöhung könnte jedoch früher erfolgen, als viele erwarten. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat bereits angedeutet, dass sie im Juli Maßnahmen ergreifen könnte.
Laut der BofA-Umfrage betrachten 31% der Teilnehmer "hawkische" Zentralbanken als das größte Risiko für die Märkte. Dies trübt die Erwartung an den Aktienmärkte.
70% der Befragten sind in der aktuellen Umfrage der Ansicht, dass die europäischen Aktienmärkte ihren Höchststand in diesem Zyklus erreicht haben, ein deutlicher Anstieg gegenüber 41% im letzten Monat. Nach den kräftigen Kursverlusten seit Januar erwarten nun nur noch 31% der Umfrageteilnehmer, dass sich die Kurse um mindestens 5% erholen werden (gegenüber 39% im letzten Monat). Ebenfalls 31% halten eine Fortsetzung des Abverkaufs für wahrscheinlich (Vormonat: 28%).
„Kurzfristig stellen Krieg und Inflation die größten Risiken für das Wachstum dar, aber die Ausbreitung neuer Coronavirus-Varianten ist eine zusätzliche Gefahr", fasst DBRS-Analystin Adriana Alvarado die Situation zusammen. „Der Konflikt schadet der Eurozone vor allem auf drei Arten: Verschlechterung der Wirtschaftsstimmung, höhere Preise und Unterbrechung des Handels“, sagt sie mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.
China und die Lieferketten
Und dann ist da noch China. Shanghai befindet sich im Dauer-Lockdown, am Hafen können Container nicht gelöscht werden. Chinas Exportboom beginnt sich zu verlangsamen. Die Daten für das 1. Quartal zeigen noch keine großen Auswirkungen des Lockdwons auf Chinas Produktions- und Exportmöglichkeiten. Aber das wird sich wahrscheinlich mit den April-Daten ändern, erwartet Morningstar-Ökonom Caldwell.
Shanghai wickelt nämlich ein Fünftel des chinesischen Exports (Container) ab - und diese Waren fehlen nun am Weltmarkt. Die gestörten Lieferketten machen den europäischen Unternehmen zu schaffen. Ohnehin hat ja die Pandemie zuvor schon Lücken gerissen.
Alles in allem ist dies eine schwierige und unsichere Gemengelage, die durchaus das Potenzial hat, den europäischen Unternehmen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.