Eine neue Covid-19-Variante ist der Grund, warum die Aktienmärkte wieder volatil sind und sich die Bewertungen der Unternehmen ständig ändern.
Die Entdeckung von Omikron war der Auslöser für den ersten Ausverkauf. Auf ihn folgte eine Erholung und dann ein erneuter Schwächeanfall, als der Vorstand von Moderna erklärte, die derzeitigen Impfstoffe könnten den neuen Coronavirus-Stamm nur schwer bekämpfen. Auf jede Marktschwankung folgt eine Bereinigung und in Zeiten der Pandemie sind es die wirtschaftlich empfindlichsten Aktien wie Fluggesellschaften, die in die Schusslinie geraten. Vor kurzem haben wir uns einige unterbewertete Aktien angesehen, jetzt richten wir unser Augenmerk auf stark überbewertete Aktien.
Es gibt 159 Aktien mit einem 1-Sterne-Rating, die von Morningstar als deutlich überbewertet eingestuft werden. Das sind 45 mehr als die 114 mit 5 Sternen bewerteten Aktien, wobei die Mehrheit (694) der von uns beobachteten globalen Aktien fair bewertet ist.
Extreme Bewertungen sind immer relevant für Anleger, weil sie auf potenziell billige oder teure Aktien hinweisen, die man meiden sollte. Schauen wir uns die überbewerteten Aktien im Detail an, zu denen einige hochkarätige Namen wie Ferrari (RACE), Airbnb (ABNB), L'Oreal (OR), Moderna (MRNA) und Netflix (NFLX) gehören.
Unsere Analysten verwenden die Kennzahl "Kurs/Fairer Wert", die den aktuellen Aktienkurs mit dem fairen Wert vergleicht: Ein Kurs/Fairer Wert-Verhältnis von 1 bedeutet, dass das Unternehmen annähernd fair bewertet ist, ein Wert von 2 bedeutet, dass es doppelt so hoch bewertet ist wie sein fairer Wert usw.
In unserer Liste haben wir die am stärksten überbewerteten Titel aus einer Gruppe von ohnehin schon überbewerteten Aktien zusammengefasst. Zwei davon werden gar dreimal so hoch gehandelt wie ihr fairer Wert: Das französische Luxusgüterunternehmen Hermes (RMS) und der chinesische Automobilhersteller Great Wall Motor Company (02333).
Der Aktienkurs von Hermes liegt aktuell bei €1.653, sein fairer Wert bei €540, Great Wall Motor wird zu rund HK$32 gehandelt, während sein fairer Wert HK$8,80 beträgt. Nach Ansicht des Analysten Ivan Su sind die Markterwartungen weit über das hinausgegangen, was das Unternehmen realistischerweise an Gewinn - und Produktion - erreichen kann.
"Die aktuelle Marktbewertung hat sehr aggressive Gewinnerwartungen eingepreist. Wir aber sind wegen der Überkapazitäten in der Branche und des hart umkämpften chinesischen Automobilmarktes weniger optimistisch. Wir glauben nicht, dass das Unternehmen seine Verkaufszahlen bis 2025 auf die vom Management angestrebten 4 Millionen Fahrzeuge steigern kann, ausgehend von den 1,3 Millionen Fahrzeuge, die wir für 2021 schätzen", sagt er.
Und warum gilt Hermes als überbewertet? Zwar haben die Unternehmensbewertungen in der Branche neue Rekorde erreicht, was auf die während des Lockdowns angewachsenen Ersparnisse und die steigenden Vermögenspreise zurückzuführen ist. Doch dürfte dies nur vorübergehend sein, erklärt Jelena Sokolova, die bei Morningstar Unternehmen analysiert, die Luxusgüter herstellen, und fügt hinzu, dass Chinas hartes Durchgreifen bei auffälligem Konsum die Nachfrage aus diesem wichtigen Land voraussichtlich ebenfalls dämpfen wird.
Die am wenigsten überbewerteten Aktien sind das japanische Hygieneunternehmen Unicharm und der dänische Hörgerätehersteller Demant, obwohl sie nach wie vor 30% über ihrem fairen Wert gehandelt werden. Wie nicht anders zu erwarten, sind die meisten überbewerteten Aktien in den USA zu finden, aber ansonsten ist die Liste geografisch breit aufgestellt mit Ländern wie Deutschland, Australien, Japan und Schweden.
Das Vereinigte Königreich ist mit Unternehmen aus sehr unterschiedlichen Branchen vertreten - RELX, Ferguson, United Utilities, Ashtead, Halma, Croda und Spirax-Sarco Engineering. Das soll nicht heißen, dass das Vereinigte Königreich insgesamt ein teurer Markt ist, sondern nur, dass die Bewertungen einiger Unternehmen nach Ansicht unserer Analysten überzogen sind.
Was ist die "Fair Value-Schätzung"?
Sarah Newcomb, Verhaltensökonomin bei Morningstar, sagt dazu:
"Die Analysten von Morningstar führen Fair Value-Schätzungen von Aktien auf der Grundlage der Fundamentalanalyse der Unternehmen durch. Das Sterne-Rating basiert darauf, wie weit der Marktpreis von dieser Fair Value-Schätzung abweicht, bereinigt um das, was wir Unsicherheit nennen. Eine Aktie mit einem 5-Sterne-Rating ist eine, deren Marktpreis weit unter der bereinigten Fair Value-Schätzung liegt, bei einer 1-Sterne-Aktie liegt der Aktienkurs weit über der bereinigten Fair Value-Schätzung. Eine 3-Sterne-Aktie ist eine, die in etwa fair bewertet ist.
Aber 5-Sterne-Aktien sind nicht notwendigerweise gut und 1-Sterne-Aktien "schlecht".
"Sterne sagen einem nicht, ob ein Unternehmen gut ist. Vielmehr sagen sie, ob der Preis im Verhältnis zum FVE gut ist. Eine großartige Aktie kann zu einem schlechten Preis gehandelt werden und umgekehrt", sagt sie.
"Es ist eine intelligente Abkürzung, mit der man feststellen kann, ob der Preis einer Aktie im Vergleich zu ihrem fundamentalen Wert hoch oder niedrig ist. Sie ermöglicht eine viel bessere Schätzung des langfristigen fairen Wertes einer Aktie als der Preis, zu dem die Anleger heute bereit sind, sie zu kaufen." Die faire Schätzung basiert auf einer Bilanzanalyse des Unternehmens und nicht auf der aktuellen Marktstimmung und ist nicht als Kursziel oder gar als Kauf- oder Verkaufsempfehlung zu verstehen.
Das Morningstar Rating System berücksichtigt auch eine Unsicherheitsbewertung (bekannt als Fair Value Uncertainty Rating). Steigt das Uncertainty Rating, steigt auch der Abschlag, den wir von einem Unternehmen für ein 5-Sterne-Rating fordern, da das Vertrauen in die Genauigkeit unserer Fair Value-Schätzung geringer ist.
Auf der Liste mit Uncertainty-Ratings stehen Namen wie Netflix, Shopify, Square und Moderna, die mit einer "sehr hohen" Unsicherheitsbewertung und damit mit der höchsten Stufe gekennzeichnet sind. "Die Sterne sind ein Indikator dafür, für wie attraktiv unsere Analysten die Aktie als Investment im Moment einschätzen", sagt Alex Morozov, Director of Equity Research bei Morningstar.
Die Unsicherheitsbewertung ist ein entscheidender Teil der Messung, denn sie gibt an, wie volatil die Erträge oder der Cashflow in den nächsten fünf bis zehn Jahren sein werden. Morozov bezeichnet das als "Risikobewertung" eines Unternehmens - und Risiken gibt es im Moment reichlich.
Newcomb ergänzt, dass Investoren auch andere Kennzahlen, wie etwa den „economic moat“, also den strategischen Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens, und seine ESG-Risiko-Ratings berücksichtigen müssen. So haben zum Beispiel Accenture, RELX und Wolters Kluwer die höchsten ESG-Ratings in Form von 5 Weltkugeln, was bedeutet, dass ihr ESG-Risiko "vernachlässigbar" ist.