Was in den vergangenen Tagen an den Märkten passiert ist, war unschön. Ohne Vorwarnung gingen die Aktienkurse rapide auf Talfahrt. Sich in einer derartigen Situation der Unsicherheit zu befinden, könnte für so manchen Anleger ein völlig neues Lebensgefühl sein. Gerade für jüngere Investoren, die erst nach 2009 an den Kapitalmärkten aktiv geworden sind, sind Korrekturen eine seltene Erfahrung. Zwar gab es auch in den vergangenen Jahren immer wieder Rücksetzer, aber diese waren so schnell wieder wettgemacht, dass man kaum Zeit hatte, über das Geschehene zu reflektieren – brauchten die Märkte gerade einmal zwei Tage, um den „Brexit“-Schock im Juni 2016 zu verdauen, so waren es nach der überraschenden Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wenige Monate später gerade einmal zwei Stunden!
Was sollten verunsicherte Anleger tun, die jetzt überlegen, ob sie das Risiko im Portfolio reduzieren sollten? Zumal wenn die Chance lockt, bisher angefallen Gewinne „mitzunehmen“? Sollten sie Aktien verkaufen bzw. sich mit Käufen jetzt zurückhalten, weil man ja bekanntlich „nicht ins fallende Messer greifen“ sollte, wie es die bekannte Börsenweisheit will?
Natürlich hat jeder Anleger seine ganz spezielle finanzielle Wirklichkeit bzw. eine auf sich zugeschnittene Finanzplanung, sodass sich Allgemeinweisheiten verbieten. Allerdings würden wir langfristigen Anlegern raten, sich zunächst folgende fünf Fragen zu stellen. Wir bekennen dabei gleich vorweg, dass wir keinesfalls neutral sind, sondern uns im Gegensatz zur obigen „Weisheit“ zu Maximen wie „im Einkauf liegt der Gewinn“, „Kurs halten“ und „Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie beeinflussen können“ bekennen.
1. Leidet Ihr Portfolio unter einer Unwucht?
Auch langfristige Finanzpläne können ins Straucheln geraten, wenn man sein Portfolio vernachlässigt. Wenn Sie etwa in den vergangenen Jahren ein Aktien-Renten-Portfolio „laufen gelassen“ und zwischenzeitlich nicht auf die Ausgangslage zurückversetzt haben, dann werden Aktien ein überdurchschnittliches Gewicht haben. Dann könnte es tatsächlich sein, dass es Sinn macht, Bonds nachzukaufen und Aktien zu verkaufen. Das sollte aber im Ergebnis ein antizyklisches Manöver und nicht eine prozyklische Reaktion auf gefallene Kurse sein. Der Umkehrschluss gilt übrigens genauso. Auch gut ausgewogene Portfolios geraten bei stark fallenden Aktienmärkten aus dem Lot. Dann kann es sich für Langfristanleger anbieten, ausser der Reihe das Portfolio zu rebalancieren, also Aktien günstig nachzukaufen. Wenn Ihr Portfolio aber keine Unwucht ausweist, dann gilt das Motto: „Kein Handlungsbedarf“.
2. Hat sich an Ihrer grundsätzlichen finanziellen Situation etwas verändert?
Diese Frage ist umfassend zu beantworten und sollte der Maxime folgen: Kein Portfolio ist eine Insel. Selbst wenn Sie ein auf den ersten Blick schlecht diversifiziertes Portfolio haben sollten, das nur aus Aktien besteht (das jetzt stärker unter die Räder gekommen ist als ein Aktien-Renten-Portfolio), muss das kein Drama sein. Denn in aller Regel haben Sie andere Vermögenswerte, die ebenfalls in die Rechnung einzubeziehen sind. Vielleicht besitzen Sie eine Immobilie, die Sie im Alter selbst nutzen können? Eine Lebensversicherung, zumal eine, die in der Hochzinsphase um die Jahrtausendwende abgeschlossen wurde, ist ein perfekter Bond-Ersatz. Fassen Sie den Rahmen noch weiter: Bringen Sie Ihre Rentenansprüche mit in Ihren Finanzplan ein. Und wenn Sie ein jüngeres Semester sind und nicht viel Vermögen haben, dann kommt auch Ihre Arbeitskraft als Humankapital ins Spiel. Das alles bringt Sie von der Fixierung auf ihr Aktienportfolio im Heute ab. Vielleicht ergibt ja Ihre Analyse, dass es im Sinne der Bewahrung Ihres Humankapitals wäre, mit dem Rauchen aufzuhören und mehr Sport zu betreiben? Das wäre vermutlich die effektivste Form des Risikomanagements!
3. Haben sich die Rahmenbedingungen an den Märkten verändert?
Diese Frage ist eigentlich rhetorischer Natur. Selbst wenn Sie kein Volkswirt oder Fondsmanager sind, dann wissen Sie als passionierter Investor, dass die identifizierbaren Risikoquellen schon lange bekannt sind, etwa die Gefahr eines neuen, von Protektionismus geprägten Handelsregimes, oder die Gefahr, dass sich die Schulden Italiens irgendwann als nicht mehr tragfähig erweisen könnten, oder dass die Zinsen in den USA gerade im Anstieg begriffen sind und die EZB gerade ihr Anleihekaufprogram drosselt. Das würde bedeuten, dass Anleger, die heute auf diese Risiken regieren, genauso überreagieren wie sie zuvor „unterreagiert“ hatten, als sie sich entschlossen, die bekannten Risiken zu ignorieren. Übrigens ist es auch nicht gesagt, dass die Kurse von Risiko-Assets fallen müssen, nur weil sie zuvor lange Zeit gestiegen waren – die Kurse von Risiko-Assets können gerade in der Spätphase einer Hausse hartnäckig und länger als erwartet steigen, und beim Turnaround in der Baisse sind die Kurserholungen ebenfalls stark ausgeprägt. Es empfiehlt sich also, die Frage nach der Marktlage so fundamental und so nüchtern wie möglich zu beantworten und Emotionen aus dem Spiel zu lassen.
4. Droht die Nervosität der Märkte auf Sie überzuspringen und Sie zu unüberlegtem Handeln zu verleiten?
Leider sind wir als Marktakteure vor fehlgeleiteten Instinkten nicht gefeit. Behavioral Finance Fallen drohen überall. Ein „Trigger“, der unerwünschtes Handeln bedingt, ist der Fliehreflex, der sich im Anlegerkollektiv auch als Herdentrieb manifestiert. Bei drohender Gefahr, etwa beim Nahen eines Säbelzahltigers, haben unsere Vorfahren gelernt, sehr schnell das Weite zu suchen. Auch 500 Jahre Börsenkultur haben uns diesen Reflex nicht ausgetrieben. Es ist deshalb sehr hilfreich, sich des Unterschieds zwischen Risikotoleranz und Risikotragfähigkeit zu vergegenwärtigen - immer und immer wieder. Die Risikotoleranz wird von den erwähnten Urinstinkten geformt. Sie ist typischerweise überzogen niedrig. Wenn Sie also eine Investititionsphase von 15, 20 oder mehr Jahren vor sich haben, dann sollten auch Kursverluste von 50 Prozent (Kaufgelegenheit!!) Sie kalt lassen. Ihre Risikotragfähigkeit ist dann sehr gross. Ist dagegen die Rentenphase nahe, dann haben Sie eine geringe Risikotragfähigkeit – und müssen gegebenenfalls Ihre Risikofreude zügeln!
5. Können Sie bzw. der Fondsanbieter oder Berater Ihres Vertrauens etwas an der Lage ändern?
Menschen neigen dazu, ihre Fähigkeit, den Gang der Dinge zu beeinflussen, zu überschätzen. Das führt in der Praxis zu Performance-schädigendem Aktionismus. Wenn Sie also gerade damit liebäugeln, das Risiko aus dem Portfolio „rauszunehmen“, so sollten Sie sich zunächst fragen, ob Sie wirklich in der Lage sind, den Kursverlauf des ATX/DAX/SMI in den kommenden Wochen vorherzusagen. (Charttechniker und Anhänger anderer Voodoo-Kulte können das; sie können spätestens jetzt die Lektüre dieser Checkliste abbrechen!). Wenn Sie jetzt verkaufen, weil Sie meinen, „etwas tun zu müssen“, dann untergraben Sie im Zweifel mit einer kurzfristigen Absicherungsstrategie (mit höchst ungewissem Ausgang) ihr langfristiges finanzielles Ziel. Diesem Trugschluss unterliegen unterliegen auch Fondsmanager und Berater, die meinen, in volatilen Märkten „aktiv“ werden zu müssen. Doch dann ist es oft zu spät. Merke: Wer die Renditen benötigt, welche die Kapitalmärkte zu bieten haben, muss auch die dazugehörige Volatilität aushalten. Weniger Aktionismus ist also Mehr für die Performance. Sie sollten nur dann handeln, wenn Sie sicher sein können, dass sie etwas in Ihrem Sinne beeinflussen können. Zum Beispiel können Sie als Investor an einer ganz entscheidenden Stellschraube drehen. Sie können die Kosten ihres Investments kontrollieren. Wenn Sie die Kosten senken, dann bestimmen Sie einen ganz wesentlichen Erfolgsfaktor Ihrer Anlage! Sich dies zu verinnerlichen führt auch dazu, die „Lösungen“ der Fondsanbieter mit anderen Augen zu sehen. Ist das Basis-Investment auf der Rentenseite wirklich ein Prozent oder mehr an jährlichen Gebühren wert? Müssen Sie für einen Standardwerte-Aktienfonds zwei Prozent berappen? Wann hatten Sie das letzte Mal ein ergiebiges Gespräch mit Ihrem Finanzberater?