Emerging Markets sind für Investoren sprichwörtliche Überholspuren: Performance und Börsenzyklen verlaufen in einem deutlich schnelleren Tempo als Investments in Industrieländern. Geht es gut, geniesst man einen Geschwindigkeitsrausch und kommt deutlich schneller am (Performance-)Ziel an. Läuft dagegen etwas aus dem Ruder, dann gibt die Leitplanke zur Linken angesichts der hohen Geschwindigkeit keine Sicherheit, und der Schaden ist unter Umständen gross. Wir wollen heute, Sie haben es geahnt, auf das hässliche Szenario zu sprechen kommen – und wie Investoren damit umgehen sollten.
Brasilien und die Türkei sind 2018 aus der Kurve geflogen
Im Falle Brasiliens dürften viele Investoren seit Jahresbeginn sprichwörtlich aus der Kurve geflogen sein. Auf Dollar-Basis lag das Minus beim MSCI Brazil bei knapp 15 Prozent; seit Ende März sogar bei minus 24 Prozent. Rund zehn Punkte gingen dabei auf Kosten des schwachen Real. Neben exogenen Unsicherheiten, wie etwa die Zinsentwicklung in den USA, kommen interne Probleme im Schwellenland hinzu, etwa die anstehenden Wahlen und die mit einem Sieg populistischer Parteien verbundenen ökonomischen Konsequenzen.
Merken Sie hier etwas? Wenn wir „Brasilien“ mit „Türkei“ ersetzen, dann hätte man auch hier auf treffende Weise ein Problemfall umrissen (lassen wir einmal aussen vor, dass die Performance von Türkei-Assets um einiges mieser in diesem Jahr war als die von brasilianischen). Schlechte Nachrichten gab es in diesem Jahr von vielen Staaten aus den Emerging Markets; auch Argentinien, Mexiko und Südafrika lieferten Negativschlagzeilen, welche die Asset-Preise einbrechen liess.
Die negative Entwicklung an den Kapitalmärkten der Schwellenländer, die sich nicht nur auf die Aktienseite beschränkte, sondern auch lokale Währungen und Bonds betraf, hat Anleger nervös gemacht. Wir haben berichtet, dass im Mai Anleger weltweit Geld aus Schwellenländer-Investments in signifikantem Umfang abgezogen haben. Die Kapitalabflüsse aus Fonds haben sich in den ersten Juni-Tagen sogar beschleunigt. Diese Reaktion dürfte – wieder einmal – eine schlechte Entscheidung gewesen sein. Anleger, seien es professionelle Investoren oder Privatanleger, steigen typischerweise zur Unzeit bei Investments aus. Und kommen typischerweise erst dann zurück, wenn sich die Asset-Preise wieder zu einem guten Teil erholt haben.
Fragiles Brasilien ging 2016 und 2017 durch die Decke
Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an den unsäglichen Begriff „Fragile Five“, den ein kreativer Mitarbeiter einer Investmentbank im Jahr 2013 erfunden hat. Die Türkei, Brasilien, Indien, Südafrika und Indonesien wurden seinerzeit wegen ihrer Abhängigkeit von ausländischen Kapitalflüssen als Hochrisikomärkte eingestuft. Die faktische Verkaufsempfehlung zu diesen Märkten fiel zeitlich in eine volatile Phase; die seinerzeitige Diskussion um ein Ende der Anleihekäufe der US-Notenbank hatte das so genannte Taper Tantrum ausgelöst, das Schwellenländer-Investments, und vor allem Brasilien-Investments, weltweit traf. In der Folgezeit wurden Emerging-Markets-Fonds massiv verkauft, was sich bis Ende 2016 fortsetzte.
Doch was passierte nach den Verlusten? Auch wenn der brasilianische Aktienmarkt zunächst in den Jahren 2014 und 2015 miserabel performte, so passierte das scheinbar Unbegreifliche, als die Stimmung der Anleger, übrigens auch die der Fondsmanager, für Brasilien-Investments am schlechtesten war: Der Aktienmarkt hob zu einer veritablen Erholungsrally an, und auch der Real stieg gegenüber dem Dollar und dem Euro. 2016 legte der MSCI Brazil aus Dollar-Sicht um sensationelle 66 Prozent zu, und 2017 stieg der Index noch einmal um sehr ordentliche 24 Prozent. Wer also dem Pferdegeflüster der Investmentbanken zu sehr gelauscht und in der turbulenten Phase den Exit gesucht hatte, wird sich vermutlich noch heute ärgern.
Eine kleine Checkliste (nicht nur) für Emerging-Markets-Investoren
Auch hier steht das Beispiel Brasiliens stellvertretend für viele Emerging Markets – es geht dort volatil zu, und keiner vermag im Vorhinein zu sagen, wann die Erholung von einer Baisse zustande kommt. Doch was leitet sich aus der Geschichte ab? Ad hoc fallen mir spontan einige Schlussfolgerungen ein:
- Die häufig geäusserte Decoupling-These, wonach die Ökonomien und die Kapitalmärkte der Schwellenländer nicht länger von der Entwicklung der Industrieländer abhingen, hat sich erneut als Unsinn erwiesen. (Fondsverkäufer nutzen dieses Argument dennoch immer wieder, um Anlegern weisszumachen, dass Schwellenländer-Investments nur Vorteile bringen können – ein „entkoppeltes“ Asset ist schliesslich ein diversifizierendes Asset, so die Legende!);
- Die Analyse von Geldflüssen in und aus Fonds ist ein schlechter Ratgeber. Fund Flows reflektieren nur den vermeintlichen Wissensstand von heute, denn in Wahrheit reflektiert das, was wir heute meinen zu wissen, in Wahrheit die Ereignisse von gestern. Morgen steht höchstwahrscheinlich etwas ganz anderes auf der Agenda. Deshalb sind Fund Flows eher ein Kontraindikator für Anleger, zumindest dann, wenn es um Mittelabflüsse geht.
- Gleiches gilt für Akronyme oder Catch-Phrasen, die von Investmentbanken kreiert werden. Ob „BRIC“, die unsägliche „PIGS“-Analogie oder die Fragile Five: Plastische Begriffe haben das Ziel, Transaktionen auszulösen, an denen Investmentbanken gut verdienen, womit wir wieder bei den prozyklischen Fund Flows wären;
- Bei Investments in Schwellenländern schlägt unter Umständen die Währungsentwicklung ähnlich stark ins Kontor wie Kursverluste bei Aktien oder Bonds;
- Einzelländer-Risiken sind in Schwellenländern enorm gross; weshalb sich breit gestreute Investments anbieten, wie die Beispiele der Türkei und Brasilien oben illustrieren;
- Breit gestreute Investments helfen aber dann nicht weiter, wenn global relevante „Events“ eintreten, etwa eine weltweite Finanzkrise, steigende Zinsen in den USA, ein Regimewechsel in den Handelsbeziehungen usw. (siehe auch die Decoupling-These oben)
- Da Profis wie Privatanleger anfällig sind für Behavioral Finance-Fehler und wir nie sicher sein können, ob uns unser Gehirn nicht gerade wieder ein Schnippchen schlägt, sollten wir gerade bei volatileren Asset Klassen nach einer klaren Strategie vorgehen. Mein Vorschlag, der eigentlich auch für alle Investments gilt: Bei normalen Marktlagen das Fondsportfolio einmal jährlich auf die Ausgangslage zurücksetzen (in der Finanzsprack heisst das „Rebalancing“), bei heftigen Kursverlusten häufiger antizyklisch nachjustieren (aggressiv Rebalancieren) und vor allem: halten, halten, halten!
- Hat man einen Fehler im System entdeckt und passt die Portfolio-Ausrichtung nicht länger zur eigenen Risikotragfähigkeit, dann sollten Anleger eher heute als morgen reagieren und ein neues Gleichgewicht herstellen. Aber das dann bitte so lang wie möglich im Lot halten!