Warum die Growth-Party weitergehen könnte

Ein prominenter Value-Investor kommt zu dem Schluss, dass der Substanzwerte-Stil solange nicht einen Comeback feiern wird, bis die Unternehmensgewinne zurückgehen. Womit er aber nicht so bald rechnet. Schwierige Zeiten für Value Investing?  

John Rekenthaler 06.06.2017
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Im letzten Beitrag an dieser Stelle ging es um die lange Durststrecke bei Value-Aktien. Nachdem diese verlässlich und konstant über Jahrzehnte hinweg besser abschnitten als Wachstums-Aktien, haben günstiger bewertete Aktien zuletzt ihre Schlagkraft verloren. Seit Mitte der 90er-Jahre lagen Value- und Growth-Aktien gleichauf, und in den vergangenen zehn Jahren liegen sie zurück. So viel zur Value-Prämie! 

In seinem jüngsten Quartalsbericht diskutiert Jeremy Grantham, Mitgründer vom Asset Manager GMO, darüber, warum Investieren nach dem Value ins Straucheln gekommen ist. Der Quartalsbericht ist insofern ungewöhnlich, weil Grantham selbst ein Value-Investor ist und die Fonds seiner Gesellschaft unter Nettokapitalabflüssen leiden. Führungskräfte aus der Investment-Industrie, die sich auf der falschen Seite der Finanzmärkte wiederfinden, neigen dazu, ihren Ansatz zu verteidigen und nicht, ihn in Frage zu stellen. 

Satt und glücklich

Grantham stattdessen räumt ein, dass es dieses Mal tatsächlich anders sein könnte. Insbesondere die Unternehmensgewinne hätten sich verändert. Grantham liefert dazu die Daten zur Umsatzrentabilität beim S&P 500 Index seit 1970. In der ersten Hälfte dieses Betrachtungszeitraumes bewegte sich die Umsatzrentabilität zwischen vier und sechs Prozent. Es mag etwas willkürlich erscheinen, eine Mittellinie bei fünf Prozent einzuzeichnen, so wie Grantham das macht und so zu tun, als ob das den natürlichen Mittelpunkt für die genannte Zeitspanne widerspiegelt. Doch man kann es als Daumenregel für die früher übliche Umsatzrentabilität gelten lassen. 

Grafik: Die Gewinne der US-Unternehmen schnellen nach oben

Grafik rekenthaler grantham 

Doch anschliessend brach die Hölle los. Die Umsatzrentabilität brach 1996 aus ihrer 25-Jahresspanne aus (genau zu jener Zeit, als Alan Greenspan über „irrationalen Überschwang" sinnierte), markierte im Jahr 2000 einen Rekord,  der 2007 verbessert wurde und setzte dann 2014 noch einen Rekord obendrauf. In der zweiten Hälfte des Beobachtungszeitraums taugte die Vergangenheit somit in keiner Weise als Anleitung für die Zukunft. (Grantham zieht auch hier eine Mittellinie ein, die sogar noch willkürlicher ist als die erste; wer kann jetzt wissen, in welche Richtung die Umsatzrentabilität nimmt? Aber seien wir wieder grosszügig.) 

Zudem haben natürlich auch die Zinsen die Erwartungen wiederlegt, indem sie ihre historisch üblichen Bandbreiten durchbrachen. Im Falle der Zinsen waren die Barrieren, um die es ging, aber eher Böden als Decken. Aber das Verhaltensmuster war das gleiche wie bei der Profitabilität der Unternehmen. Die Zinsen markierten neue Rekorde, Beobachter flüsterten ihre Sorgen vor einem unvermeidlichen Anstieg, doch letztlich setzten die Zinsen ihren Anstieg fort, ohne dass sich die befürchteten negativen Erwartungen bisher jemals eingestellt hätten. 

Angesichts der Tatsache, dass die Unternehmensgewinne alle Vorhersagen übertroffen haben und Zinssätzen, die tiefer gesunken sind, als das irgendwer jemals erwartet hätte, ist es nicht verwunderlich, dass die Kurs-Gewinn-Verhältnisse von Aktien gestiegen sind. Sie konnten gar nicht anders. Schliesslich wird der Wert von Unternehmen bestimmt durch die Zahlungsströme, die sie generieren (was wiederum mit der Profitabilität zusammenhängt, zumindest sofern kein Bilanz-Gemauschel im Spiel ist) und durch die Zinsen die verwendet werden, um die zukünftigen Einnahmen abzuzinsen. Beide Einflussfaktoren haben sich erheblich verbessert und deshalb hatten Aktien gar keine andere Wahl als zu steigen. 

Das KGV des S&P 500 Index springen nach oben

Rekenthaler die zweite

 

Trend Fighters 

Value-Investoren sind Gewohnheitstiere. Während sich Growth-Investoren Hoffnungen an das Unwahrscheinliche hingeben und sich Unternehmen ausmalen, die das Unmögliche schaffen, was ihre Vorgänger nicht verwirklichen konnten, setzen Value-Investoren darauf, dass sich frühere Ereignisse wiederholen. Die von Grantham gezogenen Linien sind dafür symbolisch, aber sie repräsentieren die Grundüberzeugung von Value-Investoren – nämlich das alles, was hervorragt (oder stolpert) unweigerlich dahin zurückkehrt, wo es zuvor herkam.

Dasselbe gilt für Value-orientierte Asset-Allocation Anleger. Diejenigen, die auf das Shiller-KGV zurückgreifen, um zu beurteilen, ob US-Aktien fair bewertet sind, unterstellen, dass diese Kennziffer um ihren langfristigen Durchschnitt schwanken sollte. Auch wenn es so aussieht, als ob sich der Mittelwert verändert, ist das ihrer Ansicht nach eine Illusion und sie gehen davon aus, dass es irgendwann zu einer Umkehrung des Trends kommen wird. 

Historisch gesehen waren Value-Investments aus zwei Gründen erfolgreich: 

  1. In der Regel (Ausnahmen gab es immer), waren die schwächeren Unternehmen nicht ganz so schlecht wie es den Anschein erweckte. Wären sie ähnlich bewertet gewesen wie die starken Unternehmen, hätte man natürlich letztere bevorzugt. Doch das war nicht der Fall. Die Nachzügler waren deutlich unterbewertet und zwar zu stark, wie sich letztlich herausstellte. 
  2. Umgekehrt waren auch die stärkeren Unternehmen nicht so gut wie es schien. Ihre Geschäftsaussichten wurden überschätzt. Sie erhöhten ihre Umsätze und Gewinne zwar schneller als der Durchschnitt, aber nicht so schnell wie es ihre Aktienkurse unterstellt hatten. 

Kurz gesagt, Aktien-Anleger überreagieren in der Regel in beide Richtungen. Sie lagen zwar mit der Annahme richtig, dass einige Unternehmen besser waren als andere, und zumeist waren sie auch in der Lage, die Schafe von den Böcken zu trennen, doch sie überschätzten das Ausmass der Unterschiede. Die Guten waren nicht so gut wie gedacht und die Schlechten nicht so schlecht wie angenommen. 

Die neue Epoche 

Dieses Mal kam der Mittelwert nicht zurück. Gut, die schlechten Firmen blieben auch dieses Mal nicht so schlecht wie es den Anschein hatte (abgesehen von jenen Unternehmen, welche die Finanzkrise 2008 nicht überlebten). In dieser Hinsicht haben die Value-Investoren weiterhin Recht. Allerdings haben sie die Entwicklung verpasst, dass die guten Unternehmen tatsächlich richtig gut geworden sind. Seit 20 Jahren verblüfft etwa Apple selbst die Optimisten. Apple ist dabei das Extrembeispiel, aber in der Technologie- und Gesundheits-Branche erfreuen sich auch andere führende Unternehmen so hoher Gewinnspannen wie noch nie zuvor.

Dazu schreibt Grantham: „Früher bezeichnete ich die Gewinnspannen als die zuverlässigste Kennziffer im Finanzbereich, wenn es um eine Rückkehr zum Mittelwert ging. Und bis 1997 war das auch der Fall. Früher führte der Wettbewerb zu einer bemerkenswerten Stabilität bei den Gewinnspannen. Volkswirte waren erstaunt über diese Stabilität, die von Wellen an Investitionsausgaben getrieben wurden, die genau dann einsetzten, wenn in einer Branche die Gewinne gerade ihr Hoch erreicht hatten. Doch heute gibt es viele Überkapazitäten und im relativen Vergleich wird weniger Wert auf Wachstum als auf Profitabilität gelegt.“ 

Insgesamt ist, wie er konstatiert, "das allgemeine Muster völlig kompatibel mit einer erhöhten Monopolmacht von US-Konzernen. Oder sagen wir es so, sollten sie über deutlich mehr Monopolmacht verfügen (als in der Vergangenheit), dann würden wir erwarten, genau das zu sehen, was momentan zu beobachten ist.“ 

Grantham kommt zu dem Schluss, dass Value-Investoren solange kaum Erfolg haben dürften, bis die Unternehmensgewinne zurückgehen, womit er aber nicht so bald rechnet. Natürlich ist es eine riskante Aufgabe, die konjunkturelle Entwicklung zu prognostizieren, aber ich glaube, dass Grantham hier auf der richtigen Spur ist. 

Der wichtigste Grund, warum Value-Investing seinen Zauber verloren hat, ist nicht der, dass sich Anleger anders verhalten als früher, sondern es sind die Unternehmen, die das tun. Die (Volks-)Wirtschaft hat die Mathematik rund um das Investieren verändert, die Eugene Fama und Ken French in der Öffentlichkeit so bekannt gemacht haben. Wenn diese Mathematik wieder funktionieren soll, dann ist dafür die Kooperation der Volkswirtschaft erforderlich.

 

 

 

 

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Über den Autor

John Rekenthaler  is vice president of research for Morningstar.