Über das Wesen von Value-Investments wird immer wieder kontrovers diskutiert. Das war auch bei unserer Investment Konferenz Ende April in Chicago der Fall, als Alex Bryan von Morningstar und Ronen Israel von der Vermögensverwaltung AQR darüber stritten, warum eine Value-Prämie existiert und warum Value-Investing so eine intuitive Anlagestrategie ist.
Die erste dabei aufgestellte These war risikobasiert. Sie hat mit der Annahme zu tun, dass die Überschussrenditen von Value-Aktien eine Entschädigung sind für die Übernahme von zusätzlichen Risiken. Schliesslich sind viele Value-Aktien aus gutem Grund billig. Solche Unternehmen sehen sich oft mit einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld oder mit einem harten Geschäftsausblick konfrontiert. Vielleicht sind sie auch Regulierungs- bzw. Prozess-Risiken ausgesetzt, oder aber es besteht Ungewissheit über die Zukunft der Technologie, auf der das Unternehmen fusst. Vielleicht hat aber auch ein neues Management die Verantwortung übernommen oder das Unternehmen durchläuft eine Restrukturierung.
Valeant Pharmaceuticals: Satte Prämie wie Totalverlust nicht ausgeschlossen
Nehmen wir zum Beispiel Valeant Pharmaceuticals. Während die Aktie des Pharmakonzerns einst jenseits von 250 Dollar handelte, ist die angeschlagene Firma jetzt auf dem Wühltisch mit den Aktien mit einem Kurs von unter zehn Dollar zu finden. Das geschätzte KGV beträgt 1,7. Inmitten von Spekulationen um Preiswucher und Bilanzierungsskandalen hat Valeant das Vertrauen vieler Investoren verloren. Der Vorstandsvorsitzende wurde ersetzt durch einen neuen Chef, der versprochen hat, das Unternehmen mit Hilfe einer Umstrukturierung zurück zur Profitabilität zu führen. (Berichten zufolge erwägt er auch den Namen der Firma zu ändern.)
Aber die Probleme von Valeant sind genau genommen sogar noch grösser: So gibt es weiterhin Untersuchungen wegen nur unzureichend erklärter Beziehungen zu einer Versandhandelsapotheke und wegen hoher Schulden besteht das Risiko eines Bankrotts. Wir haben deshalb die Unsicherheit bezüglich des fairen Wertes der Aktie als extrem eingestuft. Dafür winkt Anlegern, die sich auf eine Turnaround-Wette bei Valeant einlassen, im Erfolgsfall eine hohe Prämie. Allerdings kann dabei auch noch vieles schief gehen. So könnte sich Valeant als eine Value-Falle entpuppen – ein Schnäppchen-Investment, das letztlich nur vor sich hindümpelt oder, schlimmer noch, weiter fällt.
Ein anderer Ansatz, warum Value-Investing historisch überdurchschnittliche Erträge brachte, hat mit dem Verhalten der Anleger zu tun. Die Annahme lautet hier, dass Investoren die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen überschätzen oder zu sehr in die Wachstumsaussichten einzelner Unternehmen vertrauen, was dann wiederum bei diesen Gesellschaften zu einer Überbewertung führt. Die Unternehmen, die im Rampenlicht stehen, werden dagegen gemieden oder ignoriert und sind als Folge davon unterbewertet.
Value vs. Growth: Erfahrungen aus der fernen Vergangenheit
Erinnern Sie sich an die Rezession in den Jahren 2000-2002? Der technologie-lastige Nasdaq-Index stieg zwischen 1995 und 2000 im Zuge der Internet-Blase von unter 800 Punkte auf mehr als 5.000 Punkte, während Value-Aktien im Gegenzug sehr unterbewertet waren. In der Zeit von März 2000 bis Oktober 2002 kam der Morningstar US Value Index nach dem Platzen der Blase dann aber auf ein Plus von 1,7 Prozent. Der Morningstar US Growth Index brach in dieser Zeit um 33,1 Prozent ein.
Spulen wir auf heute vor, dann ist Value-Aktien für die vergangenen zehn Jahre eine schlechtere Wertentwicklung als den Wachstums-Aktien zu konstatieren. Allerdings fällt der Rückstand nicht so gross wie während der Technologie-Blase aus. Insgesamt weist der Morningstar US Growth Index zum Stichtag 30. April im Vergleich zu seinem Value-Pendant einen Vorsprung von drei Prozentpunkten auf.
Das lädt zu der Frage ein, ob jetzt Schnäppchen zu finden sind. Dazu haben wir die fast 500 Mitglieder des Morningstar US Value Index begutachtet. Ausgeschlossen wurden dabei zuerst jene Unternehmen, die unsere Analysten nicht abdecken. Anschliessend fokussierten wir uns auf Unternehmen, die über Wettbewerbsvorteile verfügen – wir sprechen von Burggräben, „Moats“, welche die Funktion haben, die Cashflows eines Unternehmens zu schützen. (Dieser Schritt hilft uns dabei, Value-Fallen zu vermeiden). Am Ende des Auswahlprozesses sortierten wir jene Aktien mit den niedrigsten und höchsten Kennziffern beim Verhältnis von Kurs zum fairen Wert aus. Das Ergebnis liefert dann die zehn günstigsten und teuersten Value-Titel.
Die nachfolgende Tabelle zeigt die Namen von fünf günstigen Value-Aktien ergänzt um einige dazugehörige wichtige Angaben aus den Research-Berichten zu diesen Unternehmen.
Tabelle: Fünf günstige Value-Aktien aus dem Morningstar US Value Index
AMC Networks
Das Medienunternehmen AMC Networks hat es geschafft, seinen Flaggschiff-AMC-Kanal von einem unbedeutenden Kabelkanal, der Film-Klassiker zeigte, in eine führende und angesehene Plattform zu verwandeln, die originale Drehbuch-Produktionen ausstrahlt. Dieser Wandel verhilft der relativ kleinen AMC im Vergleich zu grösseren Konkurrenten zu einem stärkeren Wachstumspotenzial. Allerdings hängt dieses Wachstum davon ab, ob es AMC gelingt, erstklassige Originalinhalte zu generieren und das Programm auch international zu Geld zu machen. Der enge wirtschaftliche Burggraben, den die Gesellschaft innehat, ist den signifikanten Einstiegshürden geschuldet, welche die Industrie umgibt. Um ein neues Kabel-TV-Netzwerk aufzubauen, das qualitativ hochwertige Inhalte zu attraktiven Gebühren anbietet, bedarf es nicht nur hoher Vorlaufinvestitionen, sondern auch enge Beziehungen in der Branche.
Capital One Financial
Bei Capital One handelt es sich um eine der am besten geführten US-Banken, die bisher noch nicht die verdiente Aufmerksamkeit bekommen hat. Ein Grossteil des Erfolges ist auf eine konsequente Fokussierung auf das Kerngeschäft und das organisches Wachstum zurückzuführen. Gleichzeitig hat das Institut regelmässig erhebliche Mehrwerte mit Hilfe von opportunistisch und günstig eingefädelten Übernahmen geschaffen. Der enge Wettbewerbsvorteil („Narrow Moat“) von Capital One resultiert aus Kostenvorteilen, die auf jahrelange Investitionen in Informationstechnologie, Bonus-Programmen, Werbe-Plattformen und gut getimte Akquisitionen basieren. Alles das trägt zusammen mit den Kosten für einen Wechsel auch zu einer relativ treuen Kreditkarten-Kundschaft bei. Im Paket führt das zu einem sehr ausgewogenen Kreditportfolio, dessen Nachbildung Jahre dauern würde.
Tabelle: Fünf überteuerte Value-Aktien aus dem Morningstar US Value
Lear Corp
Bei dem mit einem engen wirtschaftlichen Burggraben versehenen Auto-Zulieferer Lear gehen wir von einem künftigen Wachstumstempo aus, das über der Zuwachsrate der weltweiten Fahrzeugproduktion liegen wird. Das Unternehmen ist jedenfalls gut positioniert, um sich gleich mehrere Trends in der globalen Auto-Industrie zu Nutze zu machen. Unter anderem zählen dazu die Fokussierung der Autobauer auf die Qualität bei der Innenausstattung, dem Wachstum bei den Premium-Fahrzeugen sowie die weiter zunehmende Bedeutung der Automobilelektronik. Leider ist sich die Anlegergemeinde aber der Wachstumschancen ebenso bewusst wie über die jüngste Expansion bei den Gewinnspannen. Als Folge davon billigt der Markt diesem Titel einen Aufschlag von stolzen 50 Prozent gegenüber dem von uns auf 95 US-Dollar taxierten fairen Wert zu. Gemessen an dem von ihm in Zukunft erwarteten Gewinnen ist der Wert überbewertet.
Celanese Corp
Als weltgrösster Produzent in dem Segment erzielt der Chemiekonzern Celanese seinen Gewinn mit der Herstellung von Ethansäure, die für spezielle Endprodukte oder für den externen Verkauf produziert wird. Die Lieferung erfolgt dabei an folgende Endmärkte: Automobil-, Zigaretten-, Beschichtungen, Gebrauchsgüter und Medizin. Hergestellt wird Ethansäure aus den Ausgangsstoffen Kohlenmonoxid und Methanol, einem Naturgas-Derivat. Im zweiten Quartal 2015 endete ein unter dem durchschnittlichen Marktpreis liegender Vertrag zum Bezug von Methanol. Die Kosten für die hauseigene Methanol-Produktion liegen höher als der in diesem Vertrag gültige Satz. Wir gehen zwar davon aus, dass Celanese dank Kostenvorteilen bei der Ethansäure-Herstellung und immateriellen Vermögenswerten bei der Produktion von Acetate Tow über einen engen wirtschaftlichen Burggraben verfügt. Doch befürchten wir, dass die Gewinnspanne eine Höhe erreicht hat, die nicht zu halten sein dürfte. Denn die Verkaufspreise seien den gefallenen Rohmaterialkosten bisher nicht gefolgt, dieser Trend beginne sich aber inzwischen zu drehen. Zu den aktuellen Kursen ist die Aktie überbewertet.
ConAgra Brands
Beim Lebensmittelunternehmen ConAgra Brands konzentrieren sich die Aktivitäten seit der 2016 erfolgten Abspaltung des kommerziellen Nahrungsmittelgeschäftes (Lamb Weston) auf Nahrungsmittel für den Konsumenten. Aber trotz der Behauptung des Managements, dass dies eine fokussierte Führung des Unternehmens ermögliche, sind wir nicht davon überzeugt, dass diese Strategie die immateriellen Vermögenswerte stärken wird, denen ConAgra seinen engen wirtschaftlichen Burggraben verdankt. Zum einen operiert ConAgra Brands noch immer mit einem Portfolio an Marken aus der zweiten und dritten Reihe, die es bisher nicht geschafft haben, Preismacht aufzubauen. Und obwohl ConAgra Brands zum anderen versucht, den Markenwert durch die Einführung neuer Produkte und die Reduzierung von Sonderangeboten (was ebenfalls dabei helfen soll den Gewinn zu verbessern) zu erhöhen, könnte sich das als eine zu schwere Aufgabe erweisen. Wir bleiben skeptisch, inwieweit es dem Management gelingt, die schwächere Wettbewerbsposition entscheidend zu verbessern. Vor diesem Hintergrund ist die Aktie überbewertet.