Auf dem Friedhof der Kuschelfonds

Alternative Fonds sind heute die heißeste Vertriebsstory der Fondsindustrie. Die Produkte, die Hedgefonds-Strategien verfolgen, haben jedoch einige Schattenseiten, die in den Marketing-Stories nicht vorkommen. Der erste Teil unserer Serie zu alternativen Fonds.

Ali Masarwah 09.10.2014
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Ohne Alternatives geht es nicht! Dieses Fazit drängt sich auf, wenn man die Vertriebsbotschaften der Fondsindustrie überblickt. Long-Short-Rentenfonds sollen das Bond-Portfolio vor steigenden Zinsen retten (wer Inflationsschutz sucht, könnte diesen heute auch mit konventionellen Mitteln günstig bekommen, aber geschenkt), Long-Short-Aktienfonds schützen der Idee nach das Aktienportefeuille, Multistrategie-Fonds liefern wiederum die optimal Diversifizierung über alle nur erdenkliche Asset-Klassen, und mit Managed Futures verfügt der Anleger schließlich über Momentum-Instrumente, die zudem eine niedrige Korrelation zum Aktien- und Rentenmarkt aufweisen. Es handelt sich also der Idee nach um Wohlfühlfonds.

Rasantes Wachstum von alternativen Fonds

Alles klar, also? Für viele Anleger ist das tatsächlich so. Sie kaufen alternative Fonds – in der Fachsprache auch „liquid UCITS“, „Hedgefonds light“ bzw. „Absolute Return Fonds“ genannt – als gäbe es kein Morgen. Unsere Absatzzahlen für diese Fonds zeigen auf beeindruckend-beängstigende Weise, wie sehr die Marketing-Argumente der Fondsanbieter gegriffen und die Phantasie der Anleger beflügelt haben. In den vergangenen 12 Monaten (per Ende August) wurden europaweit 43,3 Milliarden Euro netto in alternative Fonds investiert. Das entspricht einer organischen Wachstumsrate von 27,2%. Keine andere Fondskategorie weist ein derart starkes Wachstum auf. 

Selbst Mischfonds, die in den vergangenen Jahren einen Riesenlauf hatten, kommen mit einer um die Performance bereinigten Wachstumsrate von 19,3% da nicht mit. Zum Vergleich: Das bereinigte Wachstum von Aktienfonds lag in den vergangenen 12 Monaten europaweit bei nur 4,7%, Bond-Fonds legten um 5,6% zu.

Tabelle: Wachstum der großen Fondsgruppen im Überblick 

Grund genug also, einen näheren Blick auf diese gleichermaßen stark wachsende wie bisher wenig beleuchteten Fondsgruppe zu werfen – ohne Marketing-Glamour, sondern nüchtern-abwägend und nutzwertorientiert. 

In der heutigen, ersten Folge unserer Serie zu alternativen Fonds wollen wir die Auflagepraxis der Fondshäuser etwas näher betrachten. Was ist in den vergangenen Jahren auf den Markt gekommen? Darüber hinaus werden wir auch untersuchen, wie viele dieser Fonds wieder vom Markt verschwunden sind. Zum Schluss geben wir einen Überblick, wie viele alternative Fonds in den vergangenen Jahren vom Markt genommen wurden. Wir stellen also nicht nur die Frage, was gefragt war, sondern auch, was nicht funktioniert hat. 

Kommen wir zunächst zum Marktwachstum in den Jahren seit 2012. Im laufenden Jahr wurden per 15.9. europaweit 902 neue alternative Fonds aufgelegt. Wir haben hier die einzelnen Fondstranchen gezählt. Zu 662 dieser 902 Tranchen liegen uns aktuelle Zahlen zum Volumen vor. Demnach waren per Ende August 8,62 Milliarden Euro in den im Jahr 2014 aufgelegten Produkten investiert. Das bestätigt unsere These, wonach neue Fonds eine entscheidende Bedeutung für den Fondsvertrieb besitzen. 

Von 902 Fonds verschwanden bereits wieder 12 vom Markt

Von den 902 Fondstranchen, die 2014 aufgelegt wurde, sind bereits 12 Produkte liquidiert oder mit anderen Fonds fusioniert worden. Diese Fonds hatten in der Spitze ein Volumen von 46 Millionen Euro. Ein kleiner Ausrutscher? Nicht ganz. Die jüngste Geschichte zeigt, dass viele alternative Fonds nur kurze Zeit nach der Auflage wieder vom Markt genommen wurden. 

Das zeigt der Blick auf die Boom- und Bust-Jahre 2012 und 2013. 2013 wurden europaweit 1.158 alternative Fonds (bzw. Fondstranchen) aufgelegt. Per 31. August 2014 hatten wir Daten zu 909  dieser Fonds. Sie wiesen ein verwaltetes Vermögen von 30,3 Milliarden Euro auf. Dass wir keine Volumendaten zu allen 2013 aufgelegten Fonds vorliegen haben, hat einen einfachen Grund: Von diesen 1.158 Fondstranchen per 15.September dieses Jahres bereits 99 Tranchen wieder liquidiert oder fusioniert wurden. Diese inzwischen verschwundenen Fonds wiesen in der Spitze – im Juli 2013 – ein Vermögen von ganz ordentlichen 894,4 Millionen Euro auf. 

Wie schnell sich das Karussell dreht, zeigt das Beispiel des Jahres 2012. In dem Jahr wurden 1.089 alternative Fonds aufgelegt. Per 31. August 2014 hatten wir von diesen ursprünglich aufgelegten Fondstranchen Volumendaten zu 605 Tranchen. Das in diesem Fonds verwaltete Vermögen belief sich per Ende August 2014 auf 20,84 Milliarden Euro. Von diesen 1.089 Fondstranchen wurden bis 15. September dieses Jahres 276 Tranchen liquidiert oder fusioniert. Diese heute obsoleten Fonds wiesen in der Spitze - im Mai 2013 - ein Vermögen von 1,1 Milliarden Euro auf. Die untere Tabelle zeigt im Überblick das kurze Leben dieser neuen alternativen Fonds. 

Tabelle: Neue Fonds am Markt - und wie viele wieder verschwunden sind

Fassen wir zusammen: Insgesamt wurden seit Anfang 2012, also in den vergangenen gut 2,5 Jahren, 3.219 Fondstranchen aufgelegt. Per Ende August wiesen diese alternativen Fonds ein Vermögen von 59,84 Milliarden Euro auf. Dabei standen Multistrategie-Fonds im Vordergrund. Hier wurden 673 neue Fonds bzw. Fondstranchen aufgelegt. Hinzu kommen 291 Multistrategie-Dachfonds. Sehr häufig wurden auch Long-short Aktienfonds aufgelegt, die in Europa, global und in den USA investieren. Hiervon wurden 612 Fonds seit 2012 aufgelegt. In der Kategorie Long-short Debt wurden 554 Fonds auf den Markt gebracht, und der Bereich Global Macro sah 227 neue Fonds am Markt

Ein Blick zum Schluss auf alle seit 2012 liquidierten alternativen Produkte - also nicht nur auf die in der Tabelle oben aufgeführten neu aufgelegten Fonds-, die kurz nach Auflage verschwanden. Hier kommen wir auf 2.186 Fondstranchen, die zeitweilig ein zweistelliges Milliarden-Euro-Vermögen auf die Waage brachten. Gehen wir zu der für alternative Fonds gute Zeit vor der Eskalation der Finanzkrise zurück, auf den Herbst 2007. Ende Oktober 2007 belief sich das Vermögen der seit Anfang 2012 liquidierten Produkte auf 31,06 Milliarden Euro.

Besonders viele Multistrategie-Fonds wurden seit 2012 liquidiert  

Am häufigsten geschlossen wurden - analog zur Dichte der Neuauflagen - Multistrategie Fonds (die vermeintlich optimalen Diversifizierer, Sie erinnern sich). 410 dieser Produkte verschwanden bis 15. September 2014 vom Markt. Rechnet man die Multistrategie-Dachfonds hinzu kommt man auf insgesamt 611 Multistrategie-Produkte, die in gut 2,5 Jahren liquidiert bzw. fusioniert wurden. Auch die Kategorie Aktien long-short (Sie erinnern sich, das sind die Produkte, die das Aktienportefeuille vor Abwärtsrisiken schützen) musste 308 Liquidierungen bzw. Fusionen hinnehmen. Währungsfonds (233), Global Macro-Produkte (204) und Renten long-short (150) wurden ebenfalls häufig vom Markt genommen. 

Unsere kleine Historie der zeigt, dass es sich bei alternativen Fonds in vielen Fällen um Experimente auf Kosten der Anleger handelt. Viele Strategien entstehen am Reißbrett und sind somit pure Hoffnungsträger, die allenfalls im Backtest hoffnungsfroh stimmen können (zur Problematik von Back-tests, also Simulationen von einem erwünschten Rendite-Risiko-Verhalten, lesen Sie hier mehr). 

Anleger, die mit alternativen Fonds im regulierten Fondsmantel liebäugeln, müssen angesichts dieser Bilanz zwar nicht prinzipiell von diesen Produkten Abstand halten. Sie sollten allerdings verstehen, dass es sich in der Praxis häufig eben nicht um kuschelige Wohlfühlfonds handelt. Hinter jeder erfolgreichen alternativen Strategie bzw. jedem erfolgreichen Fonds am Markt - von denen es durchaus einige gibt - stehen zahlreiche andere, die es nicht in die Hitlisten geschafft haben, sondern heimlich, still und leise nach einer zumeist wenig erfolgreichen Praxisphase vom Markt genommen wurden. 

In der nächsten Folge unserer lockeren Serie zu alternativen Fonds werden wir uns mit den größten Fonds am Markt befassen – und warum auch bei erfolgreichen Dickschiffen eine sehr genaue Analyse der Strategien und der Manager am Werk vonnöten ist.

 

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich