Anfang Juni hat die Europäische Zentralbank den Leitzins erneut gesenkt. Auch wenn die US Notenbank das Ende von "QE" erkennen lässt, bleibt die Geldpolitik auf globalem Massstab sehr expansiv. Der jüngste Zinsschritt dürfte weder südeuropäischen Unternehmen in Gestalt von niedrigen Kreditzinsen helfen, noch wird die Senkung einen spürbaren Beitrag gegen die Deflationsgefahren in der Eurozone leisten. Sie illustriert allenfalls das Dilemma von Fixed-Income-Investoren, die derzeit auf immer längere Laufzeiten und immer niedrigere Ratings ausweichen müssen, um auf eine annehmbare Rendite zu kommen. Viele Beobachter sprechen von manipulierten Märkten. Im Rahmen einer Moderation für die Beilage "Im Fokus" des Frankfurter portfolio Verlags (Nachdruck mit freundlicher Genehmigung), hatte ich die Gelegenheit, mit einigen Zinsexperten über die Perspektiven für Bond-Investoren zu diskutieren.
Teilnehmer der Diskussion (von links nach rechts):
Bastian Gries, Head of Corporate Credit IG bei Meriten Investment Management (BNY Mellon),
Christian Schiweck, Fondsmanager bei GS&P Kapitalanlagegesellschaft,
Ralph Geiger, Credit Suisse, Director, Fixed Income Specialist,
Wilhelm Rau, St. Galler Kantonalbank Deutschland, Leiter Portfoliomanagement
Moderator: Ali Masarwah, Chefredaktor Morningstar Deutschland, Österreich, Schweiz
IM FOKUS: Die Bondmärkte sind nach allgemeiner Einschätzung weiterhin verzerrt. Die Fundamentaldaten einiger südeuropäischer Länder zum Beispiel spiegeln sich nicht in den Renditen der jeweiligen Staatsanleihen wider. Wie schätzen Sie die Obligationenmärkte heute ein? Und was sehen Sie als Folge dieser Einschätzung für Anleger?
Geiger: Aus meiner Sicht haben wir haben wir drei grosse Blöcke: die aufstrebenden Länder oder Emerging Markets, Amerika und Europa. Japan lasse ich jetzt aussen vor, da dort vieles anders gestaltet ist. Interessant ist für mich, dass sich einerseits Amerikas Wirtschaft allmählich erholt, die Zinsen aber nicht entsprechend angezogen haben. Dort beginnt die Inflation langsam zu steigen. In Europa haben wir den sogenannten Draghi-Put – der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, wird alles tun, um den Euro zu halten. Das bedeutet unter anderem, dass die Risikokomponente im Zuge der Intervention der EZB völlig aus den Augen gelassen wird! Was würde zum Beispiel passieren, wenn die Staatsanleihen, die viele Banken in den Portfolios halten, keine Risikogewichtung von null Prozent mehr hätten? Gleichzeitig gehen Investoren in Risikopapiere, die sie wahrscheinlich zum Teil nicht richtig verstehen. Sie wählen zum Beispiel ein Papier wegen eines etwas höheren Zinses, ohne aber die Fundamentaldaten zu analysieren. So werden etwa Anleihen von Unternehmen gekauft, von denen der Investor einfach nur den Namen kennt. Wie die Gewinnsituation der Firma ist oder ob sie eine echte Nettowertschöpfung bringt, interessiert dabei kaum. Risiken und Rendite sind ziemlich verzerrt. Oftmals wird rein intuitiv investiert.
Schiweck: Wir haben durch die Globalisierung auf den Gütermärkten keine Inflation mehr in dem Sinne, wie wir sie früher hatten. Die Gütermärkte sind heute von fallenden Preisen wegen des technischen Fortschritts geprägt. Und bei den Märkten, die noch abgeschottet sind, etwa durch hohe Einfuhrzölle, gibt es nach wie vor Inflationsraten von fünf, sechs Prozent pro Jahr. Der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan war der Ansicht, dass jede Krise durch Zinssenkungen lösbar ist. Ab 2008 haben wir gelernt, dass man jedes Problem durch die Nutzung der Bilanz der Zentralbanken lösen kann. Heute haben wir das Problem, dass eine kapitalgedeckte Altersvorsorge, die meist in das klassische Instrument „Anleihen“ investiert, keine grosse Verzinsung für den Investor abwirft. Die Renditen am Anleihenmarkt werden durch die Notenbanken künstlich niedrig gehalten. Der Ausstieg der Amerikaner aus den Notmassnahmen der US-Notenbank Fed, das Tapering, ist ein sehr, sehr kleiner Schritt in Richtung Normalisierung der Zinslandschaft. Wir sind noch lange nicht bei den Zinsniveaus angelangt, die das tatsächliche ökonomische Risiko der Investition widerspiegeln.
Sind wir denn auf dem richtigen Weg?
Gries: Mich stört, dass der Fokus zu sehr auf der Zentralbankpolitik und den zukünftigen Zentralbankmassnahmen liegt. Ein ebenso wichtiger Aspekt ist aber, dass Europa weiterhin in einem Reformstau steckt und die Länder noch gewaltige Hausaufgaben vor sich haben. Zudem befindet sich unsere Bankenlandschaft im Derisking-Modus und muss sich weiter entschulden, was ebenfalls die Inflationsraten drückt. Die Zentralbank versteht letztlich aber sehr gut, dass nicht viel Luft für Zinssteigerungen bleibt. Die Politik sollte die Zeit, die die Zentralbanken gekauft haben, nutzen, um Reformen anzustossen. Das sehen wir aber nicht in ausreichendem Mass …
Das klingt nach einer freundlichen Umschreibung für den Begriff „Reformstau“…
Rau: Ich glaube, dass die Notenbank relativ geschickt taktiert. Wichtig für unsere Kunden und uns ist: Dort, wo die Volkswirtschaften gesunden, das heisst, sich verbessernde Kapital- und Leistungsbilanzen abzeichnen, suchen wir nach besseren Renditen für unsere Portfolien und investieren. Bei Ländern, bei denen das nicht der Fall ist, halten wir uns zurück. Wir sagen aber auch, dass die Kunden im Rahmen des Risiko-Controlling auch mit etwas weniger Rendite zufrieden sein müssen.
Ich würde gerne zwei gegensätzliche Szenarien aufmachen. Auf der einen Seite die fortschreitende Globalisierung und der technische Fortschritt mit einer Tendenz zu niedrigen Inflationsraten. Zudem springt die europäische Wirtschaft nicht so recht an, weshalb die Niedrigzinspolitik auch ganz gut passt und es nun auch darum geht, eine Deflation zu vermeiden. Dass die Renditen in den USA steigen, liegt vermutlich weniger am Tapering als daran, dass die Wirtschaft gesundet. Diese Betrachtungen stehen insgesamt für die konventionelle Schule, die mit fundamentalen Erklärungen versucht, das Geschehen einzuordnen. Auf der anderen Seite stehen die Probleme vieler Schwellenländer und die steigende Verschuldung weltweit, die auf einen Crash zulaufen. Der bisher eingeschlagene Weg lässt allerdings keine echte Gesundung erkennen. Wo aber befinden wir uns nun konkret?
Geiger: Bei der Tendenz zu sinkender Inflation gebe ich Ihnen recht. China exportiert derzeit Deflation, was aus der weltweiten Vernetztheit folgt, die wir mittlerweile haben. Würde ich jetzt aber alles in einen Topf werfen? Nein! Es ist allein schon ein grosser Unterschied, ob ein Staat verschuldet ist oder ein Unternehmen. Staaten haben per se wenig Interesse, etwa durch Sparen Schulden zu reduzieren. Denn die Politiker wollen wiedergewählt werden – und Kürzungen sind bei der Bevölkerung nicht beliebt. Das gilt auch für Deutschland. Ein Unternehmen dagegen, das zu hohe Schulden hat – und nicht vom Staat gerettet wird –, geht in Konkurs.
Schiweck: Wir befinden uns derzeit in einem riesigen Experiment. Wir sehen ausserdem, dass sich das Experiment Japan mittlerweile in einem sehr engen Zeitrahmen befindet, in dem die Regierung versucht, die Probleme zu lösen und fit für die Zukunft zu werden. Wir befinden uns global in einer Phase mit zu geringem Wachstum. Früher hat man weltweite Wachstumsraten von 3,5 Prozent als Rezession bezeichnet und Inflationsraten von drei Prozent oder geringer als zu niedrig eingestuft. 2008 nun war der Höhepunkt der Finanz- und Eurokrise – und die Staatsschulden sind danach weiter gestiegen. Und warum? Weil die Haushaltsdefizite höher sind als die Wachstumsraten. Dieses Faktum aber löst die gesamte Problematik nicht. Wir kommen in Kerneuropa auf der Zinsseite und bei der Staatsverschuldung allmählich in japanische Verhältnisse und sind schon damit zufrieden, dass es nicht schlimmer wird als jetzt. Wir bräuchten dringend mehr Wachstum. Über die Inflationsseite werden die Bürger heute enteignet, ohne es wirklich zu merken. Heutzutage werden die Sparer oder die Vermögensbesitzer in Anleihen und in Sparguthaben enteignet, indem sie eine negative Realverzinsung akzeptieren. Und diese negative Realverzinsung über die nominalen, sehr niedrigen Sätze ist notwendig, um das System am Leben zu halten, oder in der Hoffnung, Wachstum zu kreieren. Aber das funktioniert bestenfalls langfristig.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es funktioniert. Die USA haben ihre Entschuldung durch eine indirekte Enteignung der Bevölkerung erreicht.
Rau: Wir haben teilweise eine schleichende Enteignung. Die Gelder, die heute auf Sparkonten oder Tagesgeldkonten parken, sind gigantisch. Und es tut den Bürgern nicht weh, das ist ja Schöne für die Politik! Der Bürger spürt die Geldentwertung nicht und konsumiert weiter. Da sage ich: Chapeau Notenbank, Chapeau Politik! Nur ist das keine Dauerlösung. Wie lange das noch gutgeht, wissen wir alle nicht. Beängstigend ist auch, was an den Kapitalmärkten passiert, denn die Unternehmensgewinne wachsen nicht in dem Masse, wie wir es gerne hätten. Wir leben in einer spannenden Welt, die Konjunkturzyklen sind schneller und kleiner geworden. Daraus folgen riesige Herausforderungen auch für uns als Portfoliomanager, auch darin, Aufklärung zu betreiben, dass es heute keine risikofreie Kapitalanlage nach Inflation mehr gibt. Eine Patentlösung für das Ganze gibt es nicht.
Geiger: Die Leute sehen oft auch nur Gesamteuropa und die paneuropäische Inflationsrate. In den einzelnen Ländern sieht es aber sehr unterschiedlich aus. Spanien und Griechenland etwa haben Deflation, in Österreich dagegen haben wir Inflation von 2,3 Prozent. Spanien ist im Vergleich zu einigen Jahren zuvor deutlich wettbewerbsfähiger geworden. Da zeigt sich schon ein verzerrtes Bild, wenn jemand nur die gesamteuropäische Inflationsrate betrachtet.
Schiweck: Ich finde es auch sehr fraglich, ob in den Südländern die Kreditvergabe angekurbelt werden muss, um dort Investitionen zu erhöhen, wie viele argumentieren. Viele grosse Unternehmen haben genug Geld, um Investitionen zu finanzieren. Warum investiert zudem kein Dax-Unternehmen gross in Griechenland oder in Spanien? Wovon hängen solche Investitionen ab? Nicht nur von der Kreditvergabe, sondern auch von den Standortbedingungen, Ausbildung der Mitarbeiter, politische Stabilität und vieles mehr. Dazu kommt, dass die EZB gar nicht möchte, dass der Euro fester wird und in der Folge die Exporte nachlassen. Es geht darum, die Wettbewerbsfähigkeit in den einzelnen Ländern wiederherzustellen – und da zählt weniger das billige Geld, sondern zahlreiche andere Faktoren.
Was könnte den Unternehmen hierbei helfen? Eine Finanzierung über die Bank funktioniert in Zeiten der Bankenregulierung nur eingeschränkt, vor allem in Südeuropa. Es gibt alternative Vehikel, wie zum Beispiel Schattenbanken oder die Möglichkeit, dass sich Unternehmen verstärkt über den Kapitalmarkt refinanzieren.
Gries: Es gibt einen starken Trend weg vom Kredit oder vom Loan-Markt hin zum Bondmarkt. Das betrifft insbesondere die Emission von High-Yield-Anleihen. Das hilft kleineren und kleinen Unternehmen allerdings nur bedingt. In der Diskussion sind auch ABS-Aufkaufprogramme, bei denen die Kredite verbrieft und dann von der EZB gekauft werden. Auf der Bankenseite ist die Bilanzbereinigung weiterhin sehr wichtig, damit sie insbesondere in der Peripherie wieder besser aufgestellt sind und somit wieder Kredite an kleinere Firmen vergeben können.
Geiger: Das geht auf, solange die Banken nicht wieder verpflichtet werden, die jeweiligen Staatsanleihen zu kaufen! Spanische Banken haben zum Beispiel Loans abgebaut und im selben Verhältnis spanische Staatsanleihen gekauft. Das ist sehr kritisch zu sehen, da dann der Staat zu seiner eigenen Finanzierung die Banken missbraucht.
Schiweck: In Deutschland gibt es als Beispiel Versuche, ein Mittelstands-Anleihensegment aufzubauen. Allerdings reicht die Governance noch lange nicht aus, und es fehlt allgemein noch die Kultur für ein solches Marktsegment. Der Markt ist noch sehr klein und zu intransparent.
Die deutschen Unternehmen sind auch ganz gut versorgt mit Liquidität, würde ich behaupten.
Schiweck: Die Sparkassen sagen zum Beispiel: Unternehmen, denen wir gerne Kredit geben, brauchen keinen. Und Firmen, die Kredit nachfragen, bekommen keinen, da sie uns vielfach zu wacklig erscheinen.
Geiger: Die Bezeichnung „Mittelstandsanleihe“ passt aus meiner Sicht auch nicht. Mit Mittelstand verbinden die Leute etwas Kleines, Solides. Die Ratings der Anleihen sind allerdings häufig eher niedrig. Dazu kommen noch andere Aspekte, etwas dass die Besicherung weggelassen wird. Das alles ist eher negativ für einen Investor. Vielfach fehlt es auch an der Ausbildung der Investoren für eine genaue Analyse dieser Papiere. Da können wir uns alle die Pflicht nehmen.
Gries: Bei dem Thema Risiko/Ertrag fehlt bei vielen Anlegern ausserdem komplett das Gefühl. Sie bekommen einfach keine sechs Prozent ohne Risiko! Und von der Grösse des Marktes sind Mittelstandsanleihen ein Segment, das nur für Privatanleger funktioniert, nicht für Institutionelle.
Wir halten einmal fest, dass die Zinsen vermutlich auf Dauer niedrig bleiben. Einem Anleger, der für sein Alter vorsorgen oder aus anderen Gründen investieren will, fehlt also eine wichtige Renditequelle. Was macht er?
Geiger: Was heisst auf Dauer?
Reden wir von einem Langfristinvestor. Er weiss, wie wir alle, nicht, wie lange das grosse Experiment, in dem wir leben, noch gutgeht. Herr Rau rät den Anlegern unter anderem, sich bei Renditeansprüchen zu bescheiden. Dies ist aber schwer zu vertreten, wenn viele Leute zum Beispiel auf höher rentierliche Peripherieanleihen verweisen. Wie ist dieser Spagat zu schaffen?
Rau: Risk/Reward ist sicherlich ein wichtiges Thema. Bei der Auswahl von Bonds, auch von Mittelstandsanleihen, braucheich jemanden, der eine umfassende Fundamentalanalyse vornimmt. Und nochmals: Auch bei uns heisst es, wenn ein Land oder ein Unternehmen seine Hausaufgaben nicht macht und die Verschuldung steigt, muss ich mir die Frage stellen, ob ich in Form von Bonds in diesen Staaten und Unternehmen investiere. Wenn dagegen ein Staat solide funktioniert und ich Anlagemöglichkeiten erkenne, bringt es auch einen Renditevorsprung. Wenn ein Kunde aber nicht auch ein Stück weit ins Risiko gehen möchte, lassen wir die Finger davon.
Gries: Ich glaube, dass die Verzweiflung unter den Investoren schon sehr gross ist, Stichwort „finanzielle Repression“. Wir haben überwiegend institutionelle Kunden, wie etwa Pensionskassen und Versicherungen, mit Renditevorgaben von bis zu vier Prozent, von denen wir ja weit entfernt sind. Derzeit sind sogenannte Hoch-Beta-Papiere und auch Nachrangpapiere stark nachgefragt; die Einengung der Risikoaufschläge von Peripherieanleihen erscheint dagegen fast vollständig vollzogen. Wir sehen viele Investoren, darunter auch Versicherungen, die sich für Nachrangsegmente öffnen. Ein weiteres heisses Thema sind die neuen Strukturen, die die Banken anbieten: die Coco-Bonds. In dem Segment gibt es viele Emissionen und auch eine immense Nachfrage. Aus meiner Sicht sind diese Bonds auch derzeit fair bewertet. Der Renditeaufschlag ist im Vergleich zu Seniorbonds im Investment-Grade-Markt noch sehr gross. Generell sind die Segmente mit der besten Performance seit Jahresanfang die Nachränge im Finanzbereich, also die Versicherungsnachränge und auch die Bankennachrang-Anleihen.
Schiweck: Die Anleger brauchen zwar Erträge, dennoch parken viele ihr Geld als Tagesgeld oder Einlagen, was keinen Inflationsausgleich bringt. Warum machen sie das? Es gibt leider nach wie vor ein Wissensdefizit. Viele sehen zum Beispiel nicht, dass sie für Aktien eine Risikoprämie auf lange Sicht bekommen und es sinnvoll ist, in extrem schwachen Marktphasen Aktien nachzukaufen. Die Deutschen sind weiterhin sehr prozyklisch, nicht antizyklisch. Pensionsfonds auf der institutionellen Seite brauchen vier Prozent plus Kosten. Es gibt aber nur noch wenige Asset-Klassen, die diese Voraussetzungen erfüllen. Die Finanzmodelle und Versprechungen und auch die Pensionszusagen von Unternehmen sind massiv unterdeckt, wenn die Zinsen nicht steigen! Was würde dagegensprechen, sich die alten Zeiten zu Herzen zu nehmen mit einem Leitzins, der oberhalb der Inflationsrate liegt?
Die Lebensversicherer würden es sich sicher auch wünschen, oder?
Schiweck: Es würden sich wahrscheinlich viele Leute wünschen. Wir haben nur leider Notmassnahmen mit zu niedrigen Zinsen, die einen falschen Preis für Geld ausloben. Schlechte Investments aber werden immer umfallen, früher oder später. Durch einen zu niedrigen Preis lasse ich vieles zu lange am Leben, was hinterher übel aufstösst. Man sieht das auch in Japan. Die Deflation und das Nullwachstum dort gehen mittlerweile über mehr als zwei Dekaden. Das Geld hat den falschen Preis – und das Problem muss gelöst werden, über Inflation.
Das wünscht sich auch die japanischeNotenbank. Aber was macht sie, wenn sie stark steigende Zinsen bekommt?
Schiweck: Dann läuft der Staat Gefahr alsSchuldner umzufallen, weil er die Schulden und Zinslast nicht mehr bezahlen kann. Letztlich bekommen sie eine Hyperinflation– und dann sind die Japaner auch ihr Schuldenproblem los. Vielleicht werden wir hier am Tisch das noch erleben.
Auf der einen Seite geht der Krug zum Brunnen, bis er bricht. Auf der anderen aber müssen Investoren tanzen, solange die Musik spielt, um Rendite zu erzielen …
Geiger: Ganz genau! Wobei das Risiko zurzeit nicht entschädigt wird. Viele Anleger haben sich einmal die Finger verbrannt mit Aktien, etwa in der Dotcom-Blase. Deshalb springen sie jetzt auf Renten. Viele investieren in hochverzinsliche, also risikoreiche Bonds und steigen aber gleichzeitig bei Schwellenländern aus. Viele Emerging Markets haben aber insgesamt ihr Rating verbessert! Dort gibt es auch zahlreiche Firmen, die global produzieren. Viele schätzen die Risiken und Chancen einfach nicht richtig ein.
Wenn ich das richtig verstehe, sind für Sie Emerging Markets bessere Schuldner als High Yields.
Geiger: Privatanleger haben Emerging Markets verkauft und Institutionelle steigen jetzt ein. Mich interessiert als Investor vor allem, wer mir die Schulden zurückzahlen kann. Viele gehen jedoch in immer schlechtere Kreditqualitäten, nur um irgendwie Rendite zu erzielen. In Emerging Markets könnten viele mit einem deutlich besseren Rating die gleiche Rendite erzielen. Bei Investment-Grade-Papieren auf vier bis fünf Jahre aus Amerika und den Emerging Markets zum Beispiel habe ich eine Zinsdifferenz von etwa 115, 120 Basispunkten. Ich könnte de facto vier Jahre lang 30 Basispunkte Zinssteigerung haben und hätte immer noch die gleiche Rendite wie mit dem amerikanischen Papier. Solche Basisüberlegungen werden leider beiseite geschoben. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass die einzelnen Emerging Markets sehr unterschiedliche Volkswirtschaften sind.
Schiweck: Ja, das ist richtig. Russland ist derzeit eher wegen des Konflikts mit der Ukraine im Fokus, Brasilien wegen der Fussball-Weltmeisterschaft. Brasilien hat indes noch viel Wachstumspotenzial. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 31 Jahren, es gibt Rohstoffe, und auch der Konsum dort dürfte mit der weiteren Globalisierung deutlich anziehen. Doch auch zu Brasilien nehmen viele die Risiken und Chancen nicht richtig wahr.
Gries: Ich würde ebenfalls bestätigen, dass viele Kunden nicht ganz verstehen, was sie eigentlich kaufen. Das betrifft nicht immer nur die fundamentale Seite, sondern auch allgemeine Entwicklungen, die an einem Markt auftreten können. Etwa eine temporär höhere Volatilität im Zuge einer Zinsveränderung oder anderer Faktoren. Viele Kunden können oder wollen solche Marktphasen nicht durchhalten.
Würden Sie sagen, dass Risiken bei Emerging Markets angemessener bezahlt sind als etwa am europäischen High-Yield-Markt?
Gries: Wir fokussieren uns bei den Emittentenaus den Schwellenländern eher auf den europäischen Investment-Grade-Markt, und dort primär auf die grossen Spieler, die in Euro emittieren. Aus meiner Sicht sind die fundamentalen Probleme in Brasilien noch nicht gelöst, und ich wäre nicht überrascht, wenn die Volatilität für dieses Marktsegment im Jahresverlauf wieder zunimmt.
Schiweck: Schwellenländer in Hartwährungen sind in der Gesamtheit sicherlich attraktiv, wobei man natürlich sehen muss, dass einige Länder deutlich günstiger bewertet sind als andere. Russland ist nach wie vor sehr günstig für die gegebenen Fundamentaldaten. Südafrika Dagegen ist angesichts der Fundamentaldaten schon teuer. Dort besteht mittelfristig auch die Gefahr, dass das Land das Investment Grade Rating wieder verliert.
Geiger: Hin und wieder frage ich Kunden, wo aus ihrer Sicht das grösste Risiko enthalten ist, etwa bei einer Anleihe von Nestlé in US-Dollar mit zehn Jahren Laufzeit. Viele nennen dann das Durationsrisiko. Tatsächlich aber liegt es in den enthaltenen Währungsschwankungen! Die Volatilität der Währung wollen die meisten allerdings nicht aussitzen. Es gibt auch Hartwährungen mit geringerer Volatilität. In einem solchen Fall wird dann das höhere Zinsrisiko kompensiert.
Schiweck: Massgeblich bei der Bewertungsfrage ist auch ein weiterer Punkt, vor allem aus europäischer Sicht: Kaum jemand handelt die Währungen der grossen Schwellenländer, wie Brasilien oder Russland, gegen den Euro, sondern vielmehr gegen den US-Dollar. Und die amerikanischen und britischen Investoren denken alle in Dollar-Terms. Der Dollar aber hat gegen den Euro und davor die D-Mark in den vergangenen 30, 40 Jahren langfristig abgewertet. Die USA sind eine von wenigen Volkswirtschaften, die es sich erlauben konnten, über Jahrzehnte Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite zu führen, ohne grosse Finanzierungsprobleme gehabt zu haben. Die Argumentation, dass ein Leistungs- und Haushaltsdefizit negativ ist, schieben die Amerikaner indes für viele Schwellenländer vor und fordern eine massive Abwertung dieser Währungen. Die amerikanische Wirtschaft hat genauso jahrelang von den Dollarabwertungen profitiert und gelebt.
Rau: Vor geraumer Zeit haben sich deutsche Anleger vorgewagt und in Anleihen in lokalen Währungen investiert. Kurze Zeit später allerdings sackten diverse Währungen ab. Es fing an mit dem australischen Dollar, der in einem Jahr um 14 Prozent zum Euro gesunken ist. In dieser Phase war auch eine Anleihe eines deutschen Unternehmens in australischen Dollar gefragt. Der Coupon dieses Titels lag deutlich über dem einer Bundesanleihe. Unter dem Strich aber kam wegen des Währungsverlustes zum Euro ein deutliches Minus heraus.
Emerging-Market-Bonds sollten also in einer Hartwährung notieren und zum Euro abgesichert sein, höre ich heraus.
Schwiweck: Investoren sollten sich zumindest der Risiken bewusst sein, die sie eingehen möchten. Daher sollte wahrscheinlich das Gros der Anleger vor allem in wechselkursgesicherte Hartwährungsanleihen investieren.
Frage ich Fondsmanager nach ihren Anlagelösungen, betonen viele, dass sie ihre Risiken breit streuen. Warum sollte ein Kunde dann nicht gleich einen börsennotierten Indexfonds, einen ETF, kaufen? Typischerweise impliziert eine grosse Diversifikation bei vielen Fonds eine Indexnähe. Vergleichsweise niedrige Kosten von jährlich 20 Basispunkten auf einen ETF statt 100 auf einen aktiv gemanagten Fonds wirken sich bei niedrigen Zinsen erst recht positiv aus.
Geiger: Was gibt es Schlechteres als passiv im Rentenbereich zu investieren?! Der Rentenanbieter, der Geld aufnimmt, steht dem gegenüber, der Geld anlegen will. Er nimmt das Geld dort auf, wo es am günstigsten ist. Die grossen Bondindizes sind in den vergangenen Jahren allerdings „länger“ in der Duration gewesen. Ich muss aber als ETF-Anbieter genau dort investieren, um indexiert investiert zu sein. Das bedeutet, dass sich mein Zinsänderungsrisiko fast täglich ändert und ich immer „länger“ werde, ohne mir dessen bewusst zu sein. Da können wir ebenso gut einen Staat nehmen, der zum Beispiel die Versicherungen zwingt, in länger laufende Anleihen zu investieren. Zinsänderung und Risiko werden immer grösser.
Gries: Im High-Yield-Bereich ist es sinnvoll, einen Manager zu wählen, der stark fundamental agiert und zudem auf die Kreditauswahl fokussiert ist. Wenn Sie erwarten, dass mittelfristig auch die systemischen Risiken und die Ausfallrisiken wieder steigen, können Sie mit einem solchen Manager besser fahren als mit jemandem, der sich nah an der Benchmark orientiert. Bei einem High-Yield-ETF haben Sie auf längere Sicht jede Menge Zahlungsausfälle. Dann ist die Frage, ob ein Kunde das aushalten kann.
Schiweck: Rentenindizes in liquiden Märkten sind mit ETF einfach replizierbar und auch günstig zu erwerben. In nicht liquiden Märkten, etwa High Yield Emerging Markets, sind die Kosten für ETF deutlich höher. Ich bezweifele auch, dass diese Märkte für eine Indexreplikation liquide genug sind. Auch vor dem Hintergrund
jüngster Krisen gibt es zudem mehr und mehr Restriktionen von Kunden, die zum Beispiel in bestimmte Regionen oder Branchen nicht investieren wollen. Ein guter Manager schlägt ausserdem seine Benchmark und einen vergleichbaren ETF.
Geiger: Zu hinterfragen ist auch, wie die zugrundeliegenden Indizes zusammengesetzt sind. Bei üblichen Rentenindizes ist schon der Grundgedanke, dass der mit der höchsten Verschuldung das höchste Gewicht hat, intuitiv falsch.
Mittlerweile sind auch zahlreiche ETF am Markt aus High Yields mit einer Restlaufzeit von unter fünf Jahren. Damit wird auch der Finger in die Wunde gelegt, dass aktive Manager die Kosten von Bondfonds nicht an das Niedrigzinsumfeld angepasst haben ...
Geiger: Viele Fonds haben die Verwaltungsgebühren massiv gesenkt. Es gibt zudem auch Geldmarktfonds, die bei negativen Renditen investieren müssen! Da wundere ich mich, dass sie noch offen sind. Der Gesetzgeber verlangt zudem deutlich mehr Berichte und ähnliche Dinge, die den Verwaltungsaufwand erhöhen. Der Druck auf die Branche ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen.
Gries: Man muss auch unterscheiden zwischen einem Retail-Anleger und einem institutionellen Anleger. Deutsche institutionelle Investoren zahlen bei Spezialfonds kaum mehr Gebühren als für ETF-Produkte. Wenn Sie als Retail-Investor generell verschiedene Möglichkeiten für Ihr Geld anschauen – etwa Tagesgeld oder Sparbuch mit einem halben Prozent Zinsen pro Jahr, einen Corporate-Bondoder High-Yield-Bondfonds mit Gebühren von einem Prozent pro Jahr –, dann kommen Sie, solange es gut läuft, immer noch deutlich besser weg als bei den zwar sicheren, aber auch sehr tief rentierlichen deutschen Staatsanleihen.
Schiweck: Und die Anleger brauchen die Returns, sonst haben sie am Ende zu wenig in ihren Altersvorsorgeprodukten, schon weil der Zinseszinseffekt fehlt. In Brasilien bei zwölf Prozent haben sie nach sechs Jahren das Kapital verdoppelt.
Rau: Dazu kommt, dass der Kapitalmarkt in Europa Retail-Kunden ein Stück weit ausschliesst. Viele Unternehmen starten erst mit einem Mindestanlagevolumen von 100.000 Euro. Diese Anforderung kann nicht jeder Kapitalanleger in seinem Portfolio umsetzen.
Damit wären wir wieder bei der Frage: Kunde, was tun?
Geiger: Eine Produktgruppe würde ich noch in die Waagschale werfen: Wandelanleihen. In dem heutigen Zinsumfeld und angesichts eines leicht positiven Konjunkturausblicks sind die Papiere auch von der Kostenseite her interessant. Wandelanleihen haben für mich im Grunde relativ niedrige Opportunitätskosten – und gleichzeitig habe ich die Möglichkeit, an Aktien zu partizipieren.
Schiweck: Wenn Sie Wandelanleihen finden, die so gepreist sind, gebe ich Ihnen völlig recht. Man muss die Funktionsweise dieser Papiere allerdings erst einmal verstehen. Ich fürchte, 98 Prozent der Anleger verstehen sie nicht, auch, weil die Aufklärung von der Beraterseite fehlt.
Geiger: Der Wandelanleihenmarkt oder „Wandelmarkt“ ist zwar keine eierlegende Wollmilchsau. Aber risikoadjustiert hat er seit 1997, dem Zeitpunkt, von dem an wir den Markt betrachten, bis heute den besten Return gehabt.
Rau: Wir nutzen ebenfalls Wandelanleihen für unser Portfolio. In der jetzigen Phase, wo alles eher vor sich hinplätschert, also weder nach unten wegbricht noch nach oben ausbricht, ist es ein ideales Instrument, das dem Kapitalanleger mehr Rendite bietet. Ich würde es allerdings nicht im Fixed-Income-Bereich sehen, sondern es unterteilen in ein Renten-Aktien-Verhältnis.
Aus der Sicht eines gut betreuten aktiv gemanagten Portfolios oder eines gut eigenverwalteten Portfolios eines kenntnisreichen Privatanlegers: Was hat sich für den Investor in den vergangenen Jahren geändert? Muss er mehr Risiko nehmen? Was würden Sie diesem Investor auf der Anleihenseite anraten?
Schiweck: Eine grosse Zinswende in Europa werden wir in den nächsten Jahren nicht erwarten dürfen. Tagesgelder oder Termingelder werden keine positive Realverzinsung, also abzüglich der Inflationsrate, abwerfen. Damit muss der Investor zwangsläufig über Anlagen in Schwellenländer und High Yields nachdenken, um neinen Mehrwert zu erhalten. Ansonsten hat er reale Kapitalverluste. Mittel- bis langfristig werden wir sehen, ob es eine weltweite Zinswende gibt – und wie das Experiment Japan zu Ende geht.
Gries: Auf der Corporate-Bond-Seite sehen wir ein verstärktes Interesse für kombinierte oder „Crossover“-Produkte, die die beiden Bereiche Investment Grade und High Yield zusammenfassen. Es gibt etwa Produkte mit kurzer Laufzeit, Short-Duration-Produkte, die im jetzigen Umfeld eher High-Yield-lastig sind. Risikobewussteren Anlegern, die eher bei Investment Grade bleiben wollen, bieten wir ein Crossover-Produkt, das High Yield nur beimischt. Ein weiterer, jüngster Trend bewegt sich im Laufzeitfonds- Bereich, bei dem Sie den Fonds ebenfalls mit High-Yield- und Investment-Grade-Anleihen bestücken.
Rau: In der heutigen Situation erzielt ein Investor letztlich keine Rendite, ohne etwas mehr Risiko einzugehen. Wir versuchen daher, Gelegenheiten zu erkennen und opportunistisch zu handeln. Wir achten sehr auf fundamental-ökonomische Faktoren der Länder und Unternehmen. Wenn ein Land oder ein Unternehmen seine Hausaufgaben nicht macht, investieren wir dort auch nicht. Dass sich in absehbarer Zeit die Zinslandschaft ändert, glauben wir ebenfalls nicht. Wichtig ist auch immer, die Zielrendite des Kunden im Auge zu behalten, wobei wir keine riesen Versprechungen machen. Ein konservatives Depot mit acht Prozent Rendite pro Jahr gibt es zum Beispiel nicht. Einen Kunden, der so etwas nachfragt, kann ich nicht bedienen. Wandelanleihen halte ich durch das asymmetrische Chance-Risiko-Verhältnis für eine gute Beimischung. Im ETF-Bondsegment dagegen wird der Kunde klar über den Tisch gezogen. In der derzeitigen und offensichtlich noch weiter anhaltenden Lage kann ein Bond-ETF keine reale Verzinsung erwirtschaften.
Geiger: Die Unsicherheit ist hoch, die Volatilität wird wahrscheinlich hoch bleiben. Wir müssen aktiv sein, Buy-and-Hold ist aus meiner Sicht vorbei. Ein Investor muss genau analysieren, welches Risiko er eingeht und was er dafür bekommt. Mögliche Produkte haben die Diskutanten bereits genannt, Crossover, High Yield in verschiedenen Rating-Graden. Wandelanleihen sind ebenfalls eine Möglichkeit. Auch weil ich mit ihnen indirekt längerfristig einen Inflationsschutz habe, der mich nichts kostet. Sehr wichtig ist ausserdem, dass ein Kunde die Überlegungen nachvollziehen kann und das Gefühl hat, dass das Gesamtpaket funktionieren wird.
Vielen Dank für das Gespräch!