Lässt sich die Discounted-Cashflow-Analyse für verschiedene Branchen wie REITs, Banken oder Energieversorger anwenden?
Ja. Ein Vorteil der Discounted-Cashflow- oder DCF-Analyse ist, dass sie so ziemlich auf alle Unternehmensformen anwendbar ist. Morningstar hat für bestimmte Sektoren wie Banken und Versicherungen leicht unterschiedliche Bewertungsmodelle, aber die Grundidee ist die gleiche: Der Wert eines Unternehmens ist nach Ansicht von Morningstar die Summe seiner erwarteten zukünftigen freien Cashflows, die auf den heutigen Zeitpunkt mit einem Zinssatz abgezinst werden, der eine angemessene Rendite auf das Kapital der Anleger erbringt.
Beeinflussen Dividenden und Aktienrückkäufe Ihre Schätzungen des Zeitwerts?
Bei der Discounted-Cashflow-Analyse wird keine Annahme über die Verwendung der Geldströme getroffen. Die freien Cashflows gehen in die Rechnung ein, wie sie verdient werden, unabhängig davon, ob sie für Dividenden, Aktienrückkäufe oder die Rückzahlung von Schulden verwendet werden oder sich einfach in der Bilanz aufsummieren. Für einige Investoren ist dies ein wesentlicher Nachteil der DCF-Analyse gegenüber eher konservativen Dividend-Discount-Modellen. Dividendendiskontierungsmodelle wurden in der Vergangenheit häufiger genutzt. Sie haben aber an Bedeutung verloren, da die meisten Unternehmen weit weniger Liquidität als Dividenden ausschütten, als sie theoretisch bezahlen könnten.
Wie bewerten Sie ein Konglomerat wie beispielsweise Berkshire Hathaway, das in verschiedenen Branchen tätig ist?
Ein Unternehmen wie Berkshire Hathaway stellt in sich eine eigene Coverage-Liste dar, vereint also eine Vielzahl von Analysen auf sich. Aus diesem Grund hat Morningstar bei solchen Konzernen die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt – also auf die jeweiligen Branchen-Experten. Um beim Beispiel Berkshire Hathaway zu bleiben: Das Unternehmen wird von den beiden Analysten Gregg Warren und Drew Woodbury analysiet. Zur Bewertung von Berkshire werden für die wichtigsten Segmente des Unternehmens jeweils gesonderte DCF-Modelle aufgebaut und deren Werte zusammengeführt.
Sind die Morningstar Bewertungsmodelle nur für langfristige Investitionen geeignet, oder sind sie auch für kürzere Zeithorizonte nutzbar?
Morningstar hat das Ziel, den inneren Wert eines Unternehmens zu ermitteln und dessen Fähigkeit einzuschätzen, sowohl kurz- als auch langfristig Cashflows zu generieren. Dies umfasst die Überprüfung aller zum Zeitpunkt verfügbaren Informationen. In Kombination mit unserer subjektiven Beurteilung geben wir ein Rating ab, wie sich das Unternehmen zukünftig entwickeln könnte. Unsere Empfehlungen basieren auf dem gehandelten Aktienkurs in Bezug auf unsere Schätzungen des intrinsischen Wertes. Wenn eine Aktie signifikant unter dem gehandelt wird, was wir als ihren Wert erwarten, geben wir eine Kaufempfehlung. Wird eine Aktie deutlich über unseren Schätzungen gehandelt, empfehlen wir sie zu verkaufen.
Fair-Value-Schätzungen unterscheiden sich stark von „Kurszielen“ die häufig von Analysten der Wall Street veröffentlicht werden und Prognosen über den Kurs in sechs oder zwölf Monaten geben. Morningstar Analysten erwarten hingegen Aktienkurse, die sich in Richtung ihrer Schätzungen des Fair Value – also des angemessenen Preises – annähern (oder, genauer gesagt: den rollierenden Schätzungen des Zeitwerts, da sich der innere Wert von Unternehmen im Laufe der Zeit meist erhöht). Bei Morningstar versucht man es jedoch zu vermeiden, einen genauen Zeithorizont vorherzusagen, wann dies passieren könnte. Manche Aktien konvergieren sehr schnell mit ihrem Fair Value, während es in anderen Fällen auch drei Jahren oder mehr sein können. Geduld ist nach Ansicht von Morningstar der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Aktienanlage.
Die Frage, ob ein Unternehmen über- oder unterbewertet ist, beantworten wir mit dern Kennziffer Kurs-Fair-Value Verhältnis (KFVV), die den aktuellen Kurs ins Verhälnis zu dem von uns geschätzten fairen Wert (fair value) setzt. Ein KFVV von über 1,0 signalisiert, dass ein Unternehmen überbewertet ist. Ein Wert von exakt 1,0 drückt aus, dass es auf dem aktuellen Kursniveau fair bewertet ist, ein Wert von weniger als 1,0 deutet auf eine Unterbewertung (lesen Sie mehr zu unseren Aktienbewertungen hier).
Was verstehen Analysten unter „dem Zeitwert des Geldes“?
Im Laufe der Zeit generieren Unternehmen Erträge und die künftigen Cashflows rücken näher in die Gegenwart, das heißt sie werden geringer abgezinst. Wenn unsere Cashflow-Prognosen unverändert bleiben, würde der reine Zeitverlauf dazu führen, dass unsere Fair-Value-Schätzungen steigen, konform mit unseren Schätzungen der Eigenkapitalkosten, abzüglich der Dividendenrendite (liquide Mittel, die direkt an die Aktionäre ausgeschüttet werden, anstatt einen Beitrag zur Steigerung des inneren Wertes des Unternehmens zu leisten). Dieses Phänomen wird als der „Zeitwert des Geldes“ bezeichnet. Unsere Analysten geben dies häufig als Grund für die routinemäßige Erhöhung der Fair-Value-Schätzungen an.
Wie können Sie zukünftige Gewinne prognostizieren, wenn es so viel Unsicherheit über den zukünftigen Erfolg eines Unternehmens gibt?
Die Schwierigkeit, die Zukunft vorherzusagen, ist die große Herausforderung bei jedem Investment. Es gibt nichts Einzigartiges an einem Discounted-Cashflow-Modell – jeder Bewertungsansatz stützt sich auf Prognosen und Annahmen über die Zukunft.
Ein positiver Aspekt des DCF-Modells ist, dass sich eine Vielzahl von Annahmen und deren Auswirkungen auf den Fair Value testen lassen. Unsere Analysten modellieren normalerweise mindestens drei Szenarien für jedes Unternehmen – ein Basisszenario, ein Bärenszenario (schlechtester Fall) und ein bullisches Szenario (bester Fall). Wir verwenden unsere Modelle auch als „Umkehrschluss-DCF“ – um herauszufinden, welche Annahmen stillschweigend im Aktienkurs eingepreist sind, und dann zu entscheiden, ob diese Annahmen vernünftig erscheinen.
Am wichtigsten ist es jedoch, um mit der Unsicherheit von Prognosen umzugehen, dass wir eine Sicherheitsmarge einräumen, bevor wir eine Empfehlung geben. Je unsicherer unsere Schätzungen des Fair Value sind, desto größer ist der Sicherheitsabstand, der erforderlich ist, bevor eine Aktie unser 5-Sterne-Rating erhält.
Sollten Anleger immer die besten Aktien, die fünf Sterne aufweisen, kaufen und Aktien, die einen Stern habe verkaufen?
Aus unserer Sicht gibt es einen Unterschied zwischen einer Empfehlung zu einem einzelnen Wertpapier und der Wahl einer Investition im Rahmen einer Portfoliostrategie. In einem Portfolio ist jede Investitionsentscheidung relativ. Die Entscheidung, eine Aktie zu besitzen, ist gleichzeitig auch eine Wahl gegen die Alternativen wie Bargeld, Anleihen, tausende von anderen Aktien, Gold, Derivate usw.
Auch wenn unsere Sterne-Ratings viel aussagen, sollten Sie auch auf die Details achten, etwa auf das bereits erwähnte Kurs-Fair-Value-Verhältnis sowie die anderen Bestandteile unseres Aktien-Ratings (und deren Zusammenwirken miteinander). Das KFVV sollte auch im Zusammenhang mit den Wettbewerbsvorteilen eines Unternehmens gesehen werden, die wir mit der Kennzahl „Moat“ (deutsch: Graben) quantifizieren. Auch sollten Sie einen Blick auf die Sicherheitsmarge werfen, die - je nach Wettbewerbsvorteil - hoch oder niedrig ausfallen kann. Hat ein Unternehmen einen strukturellen Vorteil gegenüber der Konkurrenz, sollten bei einer hohen Kurs-Fair-Value-Verhältnis nicht automatisch die Alarmglocken schrillen, auch wenn Sie eine eher Value-orientierte Investment-Stategie umsetzen.
Wenn Sie etwa eine Aktie verkaufen, die zu einem KFVV von 1,15 gehandelt wird (was anzeigt, dass sie 15 % überbewertet ist), und eine Aktie bei einem KFVV von 0,85 kaufen (was indiziert, dass sie 15% unterbewertet ist), haben Sie einen Schwenk von 30 Prozentpunkten in unserer Positionierung relativ zum fairen Wert durchgeführt – dabei müssen nicht notwendigerweise Aktien beteiligt sein, die mit einem oder fünf Sternen bewertet sind.
Analog dazu kann es auch sinnvoll sein, zwischen Aktien ähnlicher Bewertungen zu wechseln, wenn sich eine signifikante Erhöhung der Unternehmensqualität erwarten lässt. Wenn Sie sich beispielsweise zwischen zwei Aktien entscheiden müssen, die beide mit einem Kurs-Fair-Value-Verhältnis von 0,90 gehandelt werden, die eine aber einen geringen Markt- und Wettbewerbsvorsprung (narrow moat), große Unsicherheit und einen negative Trend bei der Positionierung aufweist, während die andere einen großen Markt- und Wettbewerbsvorsprung (wide moat), mittlere Unsicherheit und einen stabilen Trend bei der Positionierung aufweist, würden wir eher die letztere Aktien besitzen.
Wie können Sie feststellen, ob der Gesamtmarkt unterbewertet, überbewertet oder fair bewertet ist?
Unser Ansatz für Aktieninvestments ist in erster Linie von bottom-up getrieben, richtet sich also nach den einzelnen Unternehmen. In der Summe bilden unsere Analysen die Grundlage unserer Sicht auf einen gesamten Markt. Um die Bewertung des Marktes als Ganzes zu beurteilen, bewerten wir alle Unternehmen in unserem Coverage-Universum nach KFVV und suchen dann nach dem Median der Aktienbewertung. Eine praktische Übersicht dieser Berechnungen finden Sie hier. Sie können diese Werkzeuge auch verwenden, um den Markt nach Sektoren, Branchen, Markt- und Wettbewerbsvorsprung, Unsicherheit und anderen Dimensionen zu separieren und damit ein Gefühl zu bekommen, welche Marktsegmente unsere Analysten als relativ attraktiv zu einem gegebenen Zeitpunkt ansehen. Während ich dies schreibe, liegt der Median der Bewertung in unserem Analyseuniversum bei einem Kurs- / Fair-Value-Verhältnis von 1,03, was indiziert, dass die Bewertung ziemlich fair bis leicht überbewertet ist.
Ist es eigentlich besser, Bargeld zu halten, wenn der Markt bereits seinen fairen Wert erreicht hat?
Generell ziehen wir als Aktienanalysten vor, eine fair bewertete, qualitativ hochwertige Aktie zu besitzen, statt Bargeld zu halten. Der Grund hat mit unserer Antwort auf die Frage zum „Zeitwert des Geldes“ (siehe oben) zu tun. Die inneren Werte von Unternehmen neigen dazu, sich im Laufe der Zeit zu erhöhen – die liquiden Mittel akkumulieren sich, Einnahmen steigen und die zukünftigen Cashflows nähern sich der Gegenwart an. Auf der anderen Seite neigt der Wert von Barmitteln im Laufe der Zeit dazu, sich mit der Inflation zu verschlechtern.
Der Nachteil, vollständig in einem fair bewerteten Markt investiert zu sein, ist, dass sich später bessere Kaufchancen ergeben, nämlich wenn die Aktienkurse fallen. Sie könnten gezwungen sein, Ihre Bestände möglicherweise mit einem Abschlag auf ihre inneren Werte zu verkaufen, um Ihre Bargeldbestände zu erhöhen. Aus diesem Grund würden wir Aktieninvestoren raten, mindestens 5% Bargeld in einem fair bewerteten Markt zu halten - als trockenes Pulver für den Fall, dass der Markt eine wirklich einmalige Chance zu einem späteren Zeitpunkt bietet. Wenn der Markt deutlich überbewertet wird – was derzeit nicht der Fall ist –, würden wir diese Cash-Position sukzessive weiter ausbauen.
Welche Auswirkungen würden steigende Zinsen auf Ihre Schätzungen des fairen Werts haben?
Dies ist eine schwierige Frage. Änderungen der Zinssätze können widersprüchliche Auswirkungen auf Bewertungsmodelle haben. Einige Unternehmen erzielen Umsätze, die durch die Zinssätze gehebelt werden, wodurch die Cashflows von höheren Zinsen profitieren. Werden höhere Zinssätze durch Inflation begleitet, könnte dies auch die zukünftigen Cashflows erhöhen, was es Unternehmen einfacher macht, Darlehen auf ihre ausstehenden Schulden zurückzuzahlen. Auf der anderen Seite bewirken höhere Zinssätze erhöhte Diskontierungszinssätze, wodurch zukünftige Cashflows heute weniger wert sind.
Unsere Analysten setzen 10 % als durchschnittliche Eigenkapitalkosten in ihren Modellen an. Dies beruht auf der langfristigen Rendite von US-Aktien (Schätzungen der langfristigen Renditen hängen jeweils vom betrachteten Zeitraum ab, die meisten taxieren den Wert jedoch um 10 %). Wir haben diese Annahme in Reaktion auf die derzeit niedrigen Zinsen nicht gesenkt. Im Großen und Ganzen glaube ich, dass unsere Analysten langfristig eine Zinsnormalisierung bei den Cashflow- und Fremdkapitalkosten in ihren Prognosen berücksichtigt haben. Ich erwarte nicht, dass Änderungen der Zinssätze einen dramatischen Einfluss auf unsere Schätzungen des Fair Value haben werden, sie könnten aber je nach Unternehmen einen bescheidenen negativen oder positiven Einfluss haben, was in den Prognosen in unseren Modellen bereits berücksichtigt wird.