Wenn ein Rentenfonds-Manager europäischen Aktien eine rosige Zukunft prognostiziert, dann zeigt das einmal mehr, dass wir in ungewöhnliche Zeiten leben. Stewart Cowley, Leiter Rentenfonds bei Old Mutual Asset Management, bezeichnete jüngst auf einer Podiumsdiskussion in der Fidelity-Zentrale in London eurpäische Dividendentitel als seine „Top-Favoriten“ für das kommende Jahr. (Auf der Morningstar-Konferenz in London im Frühjahr hatte sich Cowley als „Bond-Manager, der gerade keine Bonds mag“, geoutet.) Chris Cowly, Portfolio-Konstrukteur für Europa-Fonds bei Cazenove Capital, verstieg sich zur Punktlandungs-Prognose von 15 % plus für Europa-Aktien 2012. Um hinzuzufügen, dass eine Eskalation der Euro-Krise den Märkten aber auch einen Verlust von 20 Prozent bescheren könnte.
Die weit auseinander klaffende Schere bei den Prognosen illustriert die Unsicherheit in Londons Fondsmanager-Gilde am Ende des Krisenjahres 2011. Statt, wie bei Jahresendprognosen üblich, auf die favorisierten Branchen, Ländern und Währungen zu tippen, werden heute nur unterschiedliche Szenarien gehandelt – mit entsprechend weit gefächerten Rendite-Prognosen. Unsicherheit, wohin man blickt.
Dabei ist es nicht schwer, bei den Portfolio-Lenkern attraktive Kandidaten herauszuhören. Dass europäische Aktien günstig bewertet sind, ist nicht nur eine Erkenntnis des Duos Cowley/Rice, sondern wird weithin gehandelt. Eine aktuelle Studie der Investmentbanker der Citigroup kommt allerdings zum Schluss, dass Investoren immer noch zu optimistisch seien und dass die politische Ungewissheit die Kurse weiter belasten könnte. Mit den heute gültigen Maßstäben gemessen seien vor allem italienische und deutsche Aktien günstig bewertet. „Der Kurs-Buch-Wert von italienische Aktien ist um durchschhnittlich 45% unter dem Niveau der anderen Märkte Kontinentaleuropas“, so die Citigroup-Analysten. Das Risiko bei italienischen Aktien sei allerdings auch am höchsten. Das Chance-Risiko-Verhältnis sei sehr attraktiv bei den Aktien von Enel und Lottomatica. Auch Rice von Cazenove hat ein Auge auf italienische Aktien geworfen. „In den Kursen ist ein Abschied Italiens aus der Euro-Zone eingepreist. Aber selbst wenn das schlimmste Szenario eintreten sollte, würden die Kurse nach einigen Verlusten durch die Wiedereinführung der italienischen Lira gestützt“.
Mit Blick auf deutsche Aktien sehen die Analysten der Citigroup vor allem die Titel von Porsche, Heldeberger Cement, Allianz SE und Thyssen als „extrem billig“. Der Dax sei - gemessen am 2012-er KGV - der fünftgünstigste Markt in Europa, nach Griechenland, Italien, Frankreich und die Niederlanden.
Und wo stehen europäische Aktien im globalen Kontext? Bill O´Neal, Chief Investment Officer für Europa bei Merrill Lynch Wealth Management, hält es ungeachtet der günstigen Bewertungen für zu früh, um in Europa zu investieren. Auf der Unternehmensebene favorisiere er hohe Cashflows und wachsende Dividendenerträge. Er sehen US- und britische Unternehmen am besten positioniert, um von einem Kursaufschwung 2012 zu profitieren, vor allem US-Standardwerte seien aussichtsreich.
Mit Blick auf die Emerging Markets mischen sich heute auch skeptische Stimmen unter die übliche Euphorie. Europa-Aktienexperte Rice von Cazenove stellt zwar nicht in Abrede, dass die Schwellenländer die Regionen mit dem weltweit höchsten Wachstum sind. „Entscheidender als die Wachstumsperspektiven der nächsten 30 oder 40 Jahre ist aber die Frage, zu welchem Preis man kauft“. Er macht auch darauf aufmerksam, dass Wirtschaftswachstum und Börsenkurse in begrenztem Maße miteinander korreliert seien.
Angesichts dieser ungewissen Aussichten raten Experten zur Diversifikation über eine breite Auswahl an Aktien, Branchen, Märkten und Regionen. Allerdings ist nach Meinung der Experten auch das kein Garant für den Schutz der Portfolios. „Die Diversifikation ist in der heutigen Zeit schwer, da die sicheren Häfen weniger werden“, warnt O´Neil von der Bank of America Merrill Lynch.