2011 war das Jahr den Unfriedens in der Branche der Indexproduktanbieter. Vor dem Hintergrund der volatilien Kapitalmärkte und der Debatte um die Regulierung derivativer Produkte haben sich Anleger relativ zurückhaltend gezeigt. Dennoch hat sich die ETP-Branche (steht für Exchange Traded Products) in Europa sich im Vergleich zu aktiv verwalteten Fonds gut behauptet (lesen Sie mehr zum Anlegerverhalten bei ETPs hier).
Anlässlich der Diskussion um derivative ETFs und der zunehmenden Verbreitung von ETFs unter Anlegern, veranstaltet Morningstar zweimal im Jahr das ETF-Werkstattgespräch. Wir laden regelmäßig die Verantwortlichen der ETP-Industrie zum Gespräch über aktuelle Themen ein. Naheliegend war es zum Start dieses Formats auf die teils heftige Auseinandersetzung 2011 zwischen den Vertretern von Swap-basierten ETFs und voll replizierenden ETFs einzugehen. Darüber hinaus stand die Frage der Regulierung im Vordergrund: Die EU-Aufsichtsbehörde ESMA hatte sich Ende Januar zur künftigen Regulierung von ETFs erneut geäußert. Dabei kristalisierte sich heraus, dass die Wertpapierleihe ein wichtiger Punkt für die Fondsregulierung in diesem Jahr sein wird (lesen Sie mehr zum aktuellen ESMA-Konsultationspapier hier).
In der ersten Runde unserer Wertstattgespräch-Reihe waren Dirk Klee, Vorstandschef von BlackRock Deutschland, Thorsten Michalik, Leiter db X-trackers und Simon Klein, Europachef von Lyxor ETF, als Vertreter der ETF-Industrie geladen. Caroline Herkströter, Rechtsanwältin und Partnerin bei der Kanzlei Norton Rose in Frankfurt, hat die Runde komplettiert und konnte wesentliches zur Regulierungsfrage beitragen. Medienpartner des ersten Morningstar ETF-Werkstattgesprächs war das Fachmagazin portfolio institutionell. Wir bringen Ihnen die wichtigsten Ergebnisse des teilweise kontrovers geführten Gesprächs (die vollständige Dokumentation lesen Sie hier).
1. Wachstumsperspektiven der Industrie
2011 war für die Index-Tracker ein durchwachsenes Jahr, in Europa ist das verwaltete Vermögen in ETFs leicht geschrumpft. Es gab Zuflüsse, ganz im Gegensatz zu den aktiv verwalteten Fonds, aber die Inflows haben im Gegensatz zu 2008 nicht dafür sorgen können, dass ein Wachstum beim verwalteten Vermögen stattgefunden hat. Was erwartet die Branche 2012?
Simon Klein (Lyxor ETF): Ich gehe sehr stark davon aus, dass die Entwicklung 2011 ausschließlich auf die Märkte zurückzuführen ist. Ich denke, dass dieses Jahr wieder ein sehr gutes Jahr für ETFs wird. Wir erwarten ein Marktwachstum in Europa in der Größenordnung von 15%. Die Volatilität ist wieder zurückgekommen. Das heißt, die Risikobereitschaft der Anleger steigt wieder langsam. Das ETF-Wachstum wird auch durch die ESMA-Regulierung unterstützt. Damit lassen wir die Diskussionen um ETF-Konstruktionen hinter uns.
Dirk Klee (iShares): Das durchwachsene Jahr war überwiegend der Marktsituation geschuldet. Die ETF-Branche ist aber auch 2011 gewachsen, im Gegensatz zu eigentlich allen anderen Produktkategorien. Die Wachstums-Story ist intakt, aber man kann sie natürlich nicht linear auf 30% jährlich fortschreiben, so wie wir das in den letzten zehn Jahren gesehen haben. Gehen wir mal davon aus, dass wir 2012 keine sich zuspitzende Bankenkrise haben werden und dass sich die Märkte etwas beruhigen. Das ist unsere Grundaussage. Natürlich gibt es ein großes Tail Risk, aber wir gehen nicht davon aus, dass es eintritt. Dann wird die ETF-Industrie insgesamt profitieren, und die Unterscheidung zwischen physischen und Swap-basierten ETFs wird weniger relevant.
Thorsten Michalik (db X-trackers): Nachdem wir über Jahre als Wachstumsbranche bezeichnet worden sind, wird jetzt die Krise für ETF ausgerufen. Ich denke, da sollte man jetzt die Kirche im Dorf lassen. Die Märkte sind 13 % nach unten gegangen, und diesen Wertverlust hat die ETF-Industrie durch Nettozuflüsse auf plus/minus 1 % reduziert. Und was hat die Konkurrenz gemacht? Bei Aktien als Einzelanlage ist fast nichts gelaufen. Gleiches gilt für die aktive Fondsindustrie, die in Europa bis Ende 2011 Mittelabflüsse von 124 Milliarden Euro verzeichnet hatte. Wir gehen gestärkt in das Jahr 2012
2. Was kommt von der Regulierungsseite?
Klee: Die ETF-Branche ist ein Wachstumsfeld, und da wollen die Regulierungsbehörden viel pro-aktiver agieren seit der Finanzkrise. Sie wollen früher und genauer hinschauen, was in der Finanzbranche passiert. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die Produktflut und auch die zunehmende Komplexität über die Zeit adressiert werden müssen, und ich glaube, das war eine reinigende, im Endeffekt positive Diskussion für die gesamte Branche. Wir begrüßen daher die jüngsten Vorschläge der ESMA für ETF-Richtlinien. Wir unterstützen regulatorische Reformen, die die Transparenz erhöhen und dem Anlegerschutz dienen. Die Diskussion hat auch dazu geführt, dass wir erneut gegenüber unseren Kunden unsere Standards offengelegt und uns auf sie verpflichtet haben. Die Standards sind heute besser als vor ein, zwei Jahren.
Klein: Das ETF-Wachstum wird auch durch die ESMA-Regulierung unterstützt. Damit lassen wir die Diskussionen um ETF-Konstruktionen hinter uns. Denn die Aussage der ESMA ist eindeutig: Es wird keine speziellen Regelungen für ETFs geben. Insbesondere die neue Transparenz des Tracking Errors hilft Anlegern, die Replizierungstechniken miteinander vergleichen. Was synthetische ETF-Anbieter schon seit langem umsetzen, wird jetzt von allen replizierenden Fonds verlangt. Unter den UCITS-Regeln sind die Risiken von beiden ETF-Strukturen gleich, deshalb werden die Abflüsse sich legen, auch weil wir nicht mehr in so einer Paniksituation sind wie vielleicht im August, September oder Oktober.
Michalik: ETFs werden gestärkt aus dieser Diskussion herausgehen. Das sieht man auch am Verlauf der Diskussion mit den Regulierungsbehörden. Das war am Anfang nur eine Diskussion um die Risiken von synthetischen ETFs. Als die Aufseher dann verstanden haben, dass es auch Risiken in physischen ETFs gibt, zum Beispiel über die Wertpapierleihe, hat sich die Diskussion aus der ETF-Industrie herausbewegt. Sie betrifft jetzt die UCITS-Ebene. Heute wird über Frage diskutiert, inwiefern diese Risiken auch bei normalen Fonds wirken. Welche Derivate setzt zum Beispiel ein Garantiefonds ein? In welchem Ausmaß verleihen aktive Fonds Wertpapiere? 2011 war eine ETF-Diskussion, 2012 wird eine UCITS-Diskussion. Wenn Äpfel mit Äpfeln vergleichen werden sollen, dann muss die gesamte Fondsindustrie sich ganz schön anstrengen, um die Standards der ETF-Industrie zu erfüllen.
Caroline Herkströter (Norton Rose): Ich glaube, dass wir bislang eine UCITS-Diskussion hatten, die exemplarisch bei ETFs ausgetragen wurde, weil da zum Beispiel der Einsatz von Swaps oder der Einsatz der Wertpapierleihe plastisch dargestellt werden konnte. Natürlich sehen wir seit der Eligible-Assets-Directive Fondskonstruktionen, die zur Zeit der Verabschiedung von MiFID 1 noch nicht möglich waren. Der Regulator stellt sich seit dem Fall Lehman viel stärker die grundlegende Frage, welche Produkte für den Privatanleger nicht geeignet sind. Oder nur geeignet sind nach einer umfassenden Aufklärung. In der Diskussion wird leider etwas Grundlegendes durcheinandergebracht Komplexität sollte nicht mit Risiko verwechselt werden. Das Risiko, das der Anleger am Ende trägt, kann bei hochkomplexen Produkten letztlich sehr, sehr gering sein. Und umgekehrt kann das Risiko bei einfachsten Produkten sehr hoch sein. Sie haben recht, diese Frage stellt sich für alle UCITS und, darüber hinaus, für alle Fonds; und sie stellt sich, wenn man die Papiere der ESMA liest, auch für andere Produkte, etwa Exchange-Traded-Notes. Die Regulatoren haben die Diskussion angeschoben, wie mit den Risiken umzugehen ist, und jetzt ist es wichtig, dass das mit Augenmaß erfolgt und richtig umgesetzt wird.
3. Lässt die Debatte um Sicherheit von ETFs die Branche stärker zusammenrücken? Wie ist der Stand der Diskussion um die mehrfach ins Spiel gebrachte Gründung eines ETF-Verbands? Hier zeigten sich eher Differenzen zwischen iShares einerseits und db-X-trackers und Lyxor andererseits.
Klee: Wir haben in der Branche unterschiedliche Modelle und wollten auch diese Differenzierung für Kunden deutlich machen. Darüber hinaus gelingt es uns sehr gut, unsere Themen auch gemeinsam zu artikulieren. Für mich ist ein Verband auch etwas, was Geld kostet, wo es eine Kosten-Nutzen-Analyse geben muss. Außerdem haben wir ja alle ein Interesse daran, dass unsere ETFs im UCITS-Kontext bleiben. Eben weil all das, was wir machen, auch jeder andere UCITS-Fonds macht. Ich sehe in dieser Verbands-Diskussion auch die Gefahr, dass wir einen Vorwand liefern, dass wir doch getrennt angeschaut und reguliert werden. Ich glaube, dass wir unsere Themen sehr gut im Rahmen der Fonds-Industrie und der UCITS-Diskussion besprechen können. Da gehören sie nämlich hin.
Michalik: ETFs sind börsengelistet und weisen andere Merkmale als Fonds auf. Deswegen wäre ein Verband nicht so schlecht. Ich stimme bei vielem mit Herrn Klee überein, bei dieser Frage aber nicht. Ich glaube, dass es sogar schädlich ist, dass es keinen ETF-Verband gibt. Die ETF-Industrie tut sich keinen Gefallen, weil ein ETF ein hybrides Modell ist. Auf der einen Seite steht natürlich der Investment-Gedanke. Aber ETFs betreffen vor allem die Handelsseite, das wurde ja vorhin schon angesprochen. Und ETFs werden in Europa künftig noch viel, viel mehr im Handel eingesetzt werden. Die EFAMA oder der BVI haben gar kein Interesse, sich damit zu beschäftigen, weil das gar nicht ihre Kernkompetenz ist, und dementsprechend brauchen wir einen Verband, in dem die ETF-Anbieter gebündelt gegenüber den Indexanbietern und den Börsen auftreten können.
Klein: Die Zeit ist offenbar nicht reif, die Vertriebsinteressen Einzelner stehen vielleicht noch zu sehr im Vordergrund. Das ist ein Fehler. Wir haben gesehen, was mit der Diskussion synthetisch gegen voll replizierend angestachelt wurde. Jetzt erlässt jeder Anbieter eigenen Standards. Das kann andere, vielleicht schwächere Anbieter, die nicht die Ressourcen haben, in den Schatten stellen. Der Endanleger hat aber von den Selbstverpflichtungen profitiert. Ich glaube, die Produkte sind auf der UCITS-Seite sehr gut reguliert und sie werden noch besser reguliert werden. Die meisten Fehler werden dagegen im Handel gemacht. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass ETFs im Schnitt nur drei Monate gehalten werden, viele sogar nur ein paar Tage, dann ist das eine potenzielle Gefahr für Anleger. Außerdem gibt es in Europa verschiedene Modelle beim ETF-Handel. Die Euronext hat einen Stop-Loss-Mechanismus auf indikative Net-Asset-Values und ist hier schon deutlich weiter als zum Beispiel Xetra. Dennoch handeln die meisten Kunden hauptsächlich auf Xetra. Da ist noch Aufklärungsarbeit zu leisten.
4. Transparenz gehört zum Selbstverständnis der ETP-Industrie. Wo steht die Branche heute?
Klee: Es ist kein Problem, jederzeit komplette, tägliche Transparenz herzustellen, aber die Frage ist, ob man dadurch den Kunden wirklich besser informiert. Vielleicht gibt es irgendwo eine schwer erklärbare Tagesbewegung, die man dann erklären muss, obwohl es sich nur um eine technische Angelegenheit handelt. Wir müssen Informationen auch in einer Art und Weise zur Verfügung stellen, dass die Transparenz auch wirklich verstanden werden kann und den Kunden zu einer besseren Entscheidung heranführt. Transparenz alleine ist nicht die Lösung, wenn Investoren am Ende des Tages die Komplexität nicht mehr verstehen können.
Michalik: Also, ich finde, dass tägliche Transparenz bei börsengehandelten Produkten, bei denen Risiken sich aus dem täglichen Handel und der täglichen Bewertung ergeben, vorhanden sein muss. Meiner Ansicht nach, bringt es mir nichts zu sagen: An 364 Tage habe ich das eine Instrument im ETF, und wenn ich an einem Tag ein anderes hinzunehme, dann brauche ich darüber nicht zu informieren. Wenn wir über Investment-Produkte sprechen, die besichert sind, dann muss tägliche Transparenz sein, weil sonst das tägliche Risiko-Management keinen Sinn macht.
Klein: Man muss da auch differenzieren, wer das Produkt kauft. Wir haben eine breite Anlegerschicht, vom Privatanleger bis zum hochprofessionellen Institutionellen. Was der eine wissen will, interessiert den anderen nicht. Man muss auf die verschiedenen Informationsbedürfnisse antworten. Und ich glaube, das haben wir als ETF-Industrie vorgelebt. Die meisten Swap-ETF-Anbieter haben das theoretische Kontrahenten-Risiko von 10% eliminiert.
5. Wo steht die Branche heute in Sachen Besicherung von derivativen Risiken und solchen Risiken, die aus der Wertpapierleihe resultiert?
Klein: Die meisten synthetischen ETF halten ja auch physische Assets. Bei uns stimmen die Holdings zwar nicht 1:1 mit dem Index überein, aber die Korrelation ist in der Regel hoch. Es geht uns um die perfekte Indexabbildung, und wenn ich ohnehin das Risiko des Swaps regelmäßig auf null setzte, kann ich kein Risiko für den Kunden erkennen.
Klee: Mir geht es darum, nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Man muss Fondskonstruktion, die auf Derivaten basieren, von Zusatzerträgen, die aus der Wertpapierleihe kommen, auseinanderhalten. Bei uns hält der DAX-ETF die 30 DAX-Anteile.
Michalik: Nur bis er verliehen hat. Bei unserem DAX-ETF sind vielleicht nicht die DAX-Aktien drin, aber wenn wir State Street anweisen, die DAX-Aktien sofort zu kaufen, dann sind die umgehend drin. Sie können nicht behaupten, dass in einem physischen ETF das drin steckt, was im Index ist. Das stimmt einfach nicht.
Herkströter: Ich möchte diese Frage hier nur aus juristischer Sicht betrachten. Es hängt vom einzelnen Produkt ab und der Frage, wie die Besicherung erfolgt. Wenn Wertpapierleihe nicht gemacht wird, dann sind die Indexpapiere im Fonds. Sollten die Wertpapiere verliehen werden, dann stellt sich die Frage nach der Zusammensetzung des Sicherheiten-Korbs. Auch daran finde ich nichts Schlimmes. Vielleicht erfährt der Korb in Zukunft auch gewisse Regularien, damit kann man gut arbeiten. Ich halte die Wertpapierleihe bei vernünftiger Besicherung für ein fantastisches Instrument, dagegen ist nichts zu sagen. Dasselbe gilt für einen Swap, wenn er ordentlich eingesetzt wird. Gegen beides ist wegen der Ertragsverbesserung für den Anleger nichts einzuwenden, wenn die Risiken für den Kunden transparent gemacht sind und minimiert werden.