Die Folgen eines „No Deal“-Brexit für Aktien

Eine zweiteilige Analyse zu den Folgen eines Chaos-Brexits für Aktiensektoren. Welche Unternehmen auf der Insel und auf dem Kontinent betroffen wären. Eine Übersicht.

Alex Morozov, CFA 11.12.2018
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Die heutige Abstimmung im britischen Unterhaus wurde vertagt, und mit jedem Tag, der ohne Einigung zwischen der Europäischen Union und Grossbritannien vergeht, steigt das Risiko eines unkontrollierten Exits des Königreichs aus der EU. Nachdem wir auf die Folgen für Fondsanleger hingewiesen haben, wollen wir nun auf Unternehmens- und Branchenebenen eingehen. Vorweggesagt: Wetten auf das Ergebnis politischer Prozesse zählen nicht zur Stärke unseres Aktien-Researchs, und der bevorstehende Ausgang des Brexit-Prozesses, der die Richtung der fünftgrössten Volkswirtschaft der Welt auf absehbare Zeit bestimmen könnte, bildet da keine Ausnahme. 

Unser Research ist auf die Unternehmensentwicklung fokussiert und ist langfristig angelegt. Dennoch wollen wir jedoch sicherstellen, dass unsere Branchenanalysen und -modelle die makroökonomischen und politischen Risiken angemessen berücksichtigen. 

Daher untersuchen wir die möglichen Folgen eines Worst-Case-Szenarios, eines ungeordneten Brexits. Im ersten Teil dieser Analyse blicken wir auf die Hauptleidtragenden, die Unternehmen Grossbritanniens, im zweiten gehen wir auf europäische Branchen ein, die von einem Hard-Brexit mehr oder weniger betroffen wären. Uns ist dabei bewusst, dass dies aufgrund der weitgehenden Verflechtung der Ökonomien der Europäischen Union, von der Grossbritannien nach wie vor ein fixer Bestandteil ist, keine zwei vollständig trennbare Handlungsstränge sind. 

Was könnten die Folgen von erhöhten Risiken sein? Wir sehen die langfristigen Auswirkungen von Störereignissen auf die Wettbewerbsposition einzelner Unternehmen und ihre zukünftige Ertragskraft als wichtigen Einfluss eines chaotischen Brexits. Auch wenn wir glauben, dass wir bereits jetzt dem erhöhten Risiko durch unsere Fair-Value-Unsicherheitsratings angemessen Rechnung tragen, so bleibt natürlich eine Restunsicherheit. Um Mark Twain zu paraphrasieren: Je mehr man den Brexit erklärt, desto weniger verstehen wir ihn! 

FTSE 100 schlägt FTSE 250

Fangen wir nun mit den Folgen eines möglichen Chaos-Brexit für Grossbritannien an. Die Modellierung eines ungeordneten Brexits geht davon aus, dass sich die Beziehungen zwischen der EU und Grossbritannien massiv verschlechtern und Grossbritannien ohne Handelsabkommen ausscheidet. Das Vereinigte Königreich unterläge dann den Zöllen der Welthandelsorganisation. Die Folgen wäre wahrscheinlich ein Rückgang des Wirtschaftswachstums, die Beschleunigung der Verbraucherpreisinflation, eines Anstieges der Arbeitslosenquote und eine Abwertung des britischen Pfund. Die Folgen die EU wären deutlich weniger dramatisch. 

Man muss an dieser Stelle zwischen grossen global agierenden britischen Konzernen und den eher kleineren Unternehmen unterscheiden. Mit Ausnahme einiger weniger britischer Branchen (z.B. Lebensmitteleinzelhandel und Telekommunikation) sind die im Standardwerte-Index FTSE 100 vertretenen Unternehmen weltweit tätig. Das federt die Auswirkungen eines isolierten Wirtschaftsabschwungs in Grossbritannien ab. Ganz anders stellt sich die Lage für kleinere britische Unternehmen dar, die sich im FTSE 250 wiederfinden. Sie würden wahrscheinlich die Hauptlast des Abschwungs spüren. Vor allem Wohnungs-, Bau- und Einzelhandelsunternehmen wären in einem rezessiven Umfeld betroffen. 

Die am stärksten zollabhängigen Branchen und ihr Anteil am gesamten zollbehafteten Handel zwischen der EU-27 und Grossbritannien sind in der unteren Tabelle aufgeführt. Der Automobilsektor ist am stärksten betroffen, und es überrascht nicht, dass die gesamte Branche in unserem Universum in unserem ungeordneten Szenario am schlechtesten abschneidet. Die im Automobilsektor zu erhebenden Zöllen machen 43,7 % der gesamten Zolleinnahmen von 10,5 Mrd. EUR aus. Im Detail gehen wir im zweiten Teil der Analyse auf europäische Autobauer ein. 

Tabelle: Welche Branchen von einem neuen Zollregime betroffen wären Trade folgen brexit

Für Banken wäre der Brexit ein machbarer Stresstest 

Die mit Abstand grösste Wertvernichtung für Banken entsteht typischerweise dann, wenn Banken aufgrund von Solvenz- und/oder Liquiditätsproblemen gezwungen sind, ihr Eigenkapital zu erhöhen. Typischerweise ist dies ausgerechnet dann der Fall, wenn die Bewertungen am niedrigsten sind, was den Schmerz für die Aktionäre erhöht. Banken reagieren besonders empfindlich auf unerwartete Schocks – der Exit des Vereinigten Königreichs ohne Handelsabkommen mit der EU wäre so ein Fall! Der Teufelskreis beginnt mit einem Vertrauensverlust und eskaliert zu einer ausgewachsenen Krise. Wir erwarten jedoch, dass die Bereitschaft der Bank of England, im Falle einer Vertrauenskrise, kurzfristige Liquidität bereitstellen würde, die es ansonsten solventen Banken ermöglicht, eine kurzfristige Liquiditätskrise zu überstehen. Die Ergebnisse verschiedener Stresstests deuten darauf hin, dass britische Banken auch unter einigen der schlimmsten Szenarien Kapitalerhöhungen vermeiden könnten. 

Folgende Banken verfügen über bedeutende Privat- und Geschäftskundengeschäfte in Grossbritannien. HSBC (Narrow Moat) wäre am besten positioniert, da der Markt unseres Erachtens die Auswirkungen eines Chaos-Brexit überschätzt. Lloyds (Narrow Moat) wäre unsere bevorzugte Bank mit vorwiegend britischem Exposure. Wir glauben, dass sein marktführendes Girokontengeschäft ihm eine stabile und kostengünstige Finanzierungsbasis bietet, die von höheren Zinsen profitieren würde. Unsere Überzeugung ist am geringsten für Barclays, deren relativ grösseres Engagement im volatilen, kapitalintensiven Investmentbanking nach wie vor problematisch ist. Wir sind auch zurückhaltend mit Blick auf Royal Bank of Scotland, weil wir glauben, dass die staatliche Beteiligung und die schwierige Lage der Bank in der Finanzkrise zu Entscheidungen geführt haben, die Rentabilität und Aktionärsinteressen hintenanzustellen, wenn es die öffentliche Meinung scheinbar erfordert. 

Langfristige Implikationen für britische Verteidigungsunternehmen

Innerhalb unserer Luft- und Raumfahrtberichterstattung sind wir der Ansicht, dass Airbus, Rolls-Royce (RYCEY), Safran, Leonardo und Meggitt nach wie vor am stärksten den Brexit-Risiken ausgesetzt sind. Die direkten Auswirkungen von Brexit sind bereits bei vielen dieser Unternehmen zu spüren, wobei die Managementteams bei Verzögerungen an der Grenze zwischen Grossbritannien und der EU die Lagerbestände erhöhen wollen. Dies wird sich auf den Cashflow auswirken, aber nicht unbedingt auf den Umsatz, da wir glauben, dass diese Pufferbestände es ermöglichen sollten, die Produktlieferungen unvermindert fortzusetzen. 

Mit Blick auf den Verteidigungssektor und Luft- und Raumfahrtbereich wären Airbus, Rolls-Royce, Safran, Leonardo und Meggitt am stärksten den Brexit-Risiken ausgesetzt. Die direkten Auswirkungen von Brexit sind bereits bei vielen dieser Unternehmen zu spüren, wobei die Managementteams im Falle von Verzögerungen an der Grenze zwischen Grossbritannien und der EU die Lagerbestände erhöhen wollen. Dies wird sich auf den Cashflow auswirken, aber nicht unbedingt auf den Umsatz, da wir glauben, dass diese Pufferbestände es ermöglichen sollten, Lieferungen unvermindert fortzusetzen. 

Während diese unmittelbaren, direkten Auswirkungen konkreter und für Investoren relevant sind, würden wir auch einige längerfristige Veränderungen nennen, die ein Chaos-Brexit für den britischen kommerziellen Luft- und Raumfahrtbereich mit sich bringen könnte. Airbus könnte seine Komponentenproduktion aus dem Vereinigten Königreich entweder auf den Kontinent zu einer seiner hundertprozentigen Luftfahrt-Tochtergesellschaften (Premium Aerotec oder Stelia Aerospace) verlagern, oder, abhängig vom Status Nordirlands nach dem Ausstieg, könnte die Produktion zur Anlage Bombardiers verlagert werden, die unseres Erachtens über einige der fortschrittlichsten technischen Fähigkeiten der Branche verfügt. 

Ähnliche Überlegungen werden wahrscheinlich auch bei anderen grossen Luft- und Raumfahrtunternehmen wie Safran durchgeführt. Während ein strukturell schwächeres britisches Pfund langfristig mehr Unternehmen dazu veranlassen könnte, zukünftige Arbeitsplätze nach Grossbritannien zu verlagern, glauben wir nicht, dass dies die negativen Auswirkungen eines chaotischen Austritts aus der EU kompensieren würde. 

Wir sehen keine unmittelbaren, wesentlichen Auswirkungen auf wehrtechnische Unternehmen in Grossbritannien wie BAE. Allerdings sind wir der Meinung, dass die britische Verteidigungsindustrie langfristig im Nachteil sein könnte, wenn sie versucht, bei militärischen Programmen mit EU-Mitgliedstaaten (ausserhalb der EU-Verteidigungsbehörden) zusammenzuarbeiten. 

Auch Lebensmittelhändler nicht aus dem Schneider 

Insgesamt sind wir der Meinung, dass es schwierig für die britischen Lebensmittelhändler sein wird, den Kostendruck bei Lebensmitteln an die Verbraucher weiterzugeben. Die Kurse der Unternehmen werden unter Druck kommen, von dem dann Discounter (Lebensmittel und Non-Food-Markt) profitieren werden. Wir sind der Meinung, dass Associated British Foods aufgrund von Primark, dem kostengünstigsten Bekleidungseinzelhändler in Grossbritannien, gut positioniert ist, während Morrison, Sainsbury und Tesco mit Gegenwind konfrontiert sein werden. Ihnen drohen die zoll- und währungsbedingte Lebensmittelpreisinflation viel stärker als den so genannten „Hard Discountern“, die in einer wirtschaftliche schwierigen Lage Marktanteile gewinnen würden. 

Im zweiten Teil des Artikels lesen Sie mehr zu den potenziellen Auswirkungen eines chaotischen Brexits auf kontinentaleuropäische Unternehmen.

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Über den Autor

Alex Morozov, CFA  Alex Morozov is the director of the health-care team at Morningstar.