Vermögensverwalter tappen in die Psycho-Falle

Im Nachgang zu unserer Untersuchung zur schwachen Performance von Bondfonds begeben wir uns auf Ursachensuche. Es spricht einiges dafür, dass viele Vermögensverwalter seit 2009 schwere gedankliche Fehler begangen haben – mit negativen Folgen für die Anleger-Performance.

Ali Masarwah 06.06.2018
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Unsere Analyse zu Bond-Fonds hat Wellen geschlagen. Der Artikel „Viele Obligationenfonds sind geborene Versager“, mit dem wir eine Studie zur ungenügenden Performance von Bondfonds vorstellt haben, war zwar reisserisch betitelt, aber dass dieser Artikel zu dem meistgelesenen auf morningstar.de avancierte, lag vor allem am brisanten Inhalt. Aktiv verwaltete Obligationenfonds haben in grossem Stil ihre Benchmarks verfehlt. Darüber sollte man reden.  

Was hat aktiv verwalteten Obligationenfonds derart zu schaffen gemacht, dass sie in den allermeisten Kategorien keine Chance hatten, ihre Benchmarks zu übertreffen? Fangen wir mit dem Problem der Fonds an, die an ihrem Index kleben und de facto zu den so genannten Closet Indexern, den verkappten Indexfonds, zählen. Sie müssen relativ hohe Transaktionskosten berappen. Das liegt an der Natur der Bond-Märkte. Während die Umschlagfrequenz bei Aktienindizes typischerweise gering ist, ist das bei Bonds anders. Bond-Indizes werden häufig neu berechnet, nicht selten sogar monatlich. Ursache hierfür können Neuemissionen sein, die in den Index aufgenommen werden, oder es werden Papiere fällig und fallen damit aus dem Index. 

Viele Fondsmanager haben schwerwiegende gedankliche Fehler gemacht 

Doch das ist streng genommen nur ein Randproblem. Es erklärt nicht, warum aktiv verwaltete Fonds im grossen Stil versagt haben. Meine These dazu: Die Manager von vielen europäischen Bondfonds (und damit auch die Manager defensiver Mischfonds) haben in den vergangenen Jahren schwerwiegende gedankliche Fehler gemacht, die Anleger reichlich Performance gekostet haben. Diese Fehler basieren auf Fehleinschätzungen, die man am ehesten im Bereich des Behavioral Finance ansiedeln kann. Sie betreffen die Notenbanken - vor allem die EZB -, die seit der Finanzkrise 2008/09 eine völlig neue, aktivistische Rolle am Bondmarkt spielen. 

Die Bond-Kaufprogramme der Notenbanken haben eine völlig neue Ära am Bond-Markt eingeläutet. Viele Vermögensverwalter haben das durchaus zur Kenntnis genommen und lautstark gegen diese „Marktmanipulation“ polemisiert. Aber sie haben offenbar nicht zu Ende gedacht und die Folgen dieses massiven - aus ordnungspolitischer Sicht durchaus kritikwürdigen – Eingriffs ignoriert – wie gesagt, mit verheerenden Folgen für die Performance der von ihnen verantworteten Fonds. 

Auf den Punkt gebracht hat die Anleger-Performance unter diesen beiden Fehleinschätzungen vieler Fondsmanager gelitten: 

- Typische Marktportfolios wiesen angesichts des Niedrigzinsumfelds erhöhte Durationsrisiken auf, weshalb es unverantwortlich sei, eine marktkonforme Fonds-Duration zu fahren;

- Euro-Peripherie-Bonds wiesen überdurchschnittliche Risiken auf, und so lange die Eurokrise nicht nachhaltig gelöst ist, müssten sie untergewichtet bzw. sogar vollständig aus dem Fonds entfernt werden. 

Zum ersten Punkt. Viele Manager sind in den vergangenen Jahren zur Überzeugung gelangt, dass die Bondmärkte überbewertet seien. Zu dieser Schlussfolgerung kann man kommen. Der säkulare Renditerückgang der vergangenen Jahre hat sich seit der Finanzkrise massiv beschleunigt und die Renditen in regelrecht absurde Tiefen getrieben. Das Problem: Die Bewertungen basieren nicht auf einem irrationalen Überschwang fehlgeleiteter Investoren, sondern auf einer gezielten Strategie der Notenbanken, die in der Ultima Ratio der massiven Bond-Kaufprogramme einmündete. So lange die Zentralbanken ihre Bond-Kaufprogramme aufrechterhalten (haben), gab es keinen Grund, aus dem Phänomen der tiefen Renditen einen baldigen Renditeanstieg abzuleiten. Blicken wir nun näher auf die Europäische Zentralbank. 

Von Trichet zu Draghi: EZB redete immer mehr Klartext

Schon im Jahr 2009 deutete der seinerzeitige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet mit dem Schlagwort „Credit Easing“ an, was auf der Agenda der Zentralbank stand: die Stabilisierung der Euro-Zone. Sein Nachfolger Mario Draghi überschritt dann 2012 mit seinem „Whatever it Takes“-Statement den Rubikon. Und er institutionalisierte diese offensive Kommunikation regelrecht. Im Jahr 2013 etablierte die EZB mit ihrer „Forward Guidance“ eine neue Kommunikationsstrategie, um alle Ambivalenzen zu beseitigen. Seitdem informiert die EZB nicht nur über ihre aktuelle Geldpolitik, sondern gibt auch einen Ausblick auf ihre künftige geldpolitische Agenda. Das erste entsprechende Statement von EZB-Präsident Mario Draghi lautete am 4. Juli 2013 wörtlich: „Der EZB-Rat erwartet, dass die Notenbankzinsen im Euroraum für einen ausgedehnten Zeitraum auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben werden“. Klarer geht es eigentlich nicht, sollte man meinen.

Dass sich viele Fondsmanager weigerten, das Oma-Blatt auszuspielen, das ihnen die EZB austeilte und beleidigt den Spieltisch verliessen, darf man rückblickend als schwerwiegenden anlagepolitischen Fehler bezeichnen – ein Fehler, der Anleger viel Performance gekostet hat. Noch klarer hat sich die EZB dann mit ihrem Anleihekaufprogramm ab 2015 positioniert. Ab März wurden monatliche Anleihekäufe in Höhe von 60 Milliarden Euro getätigt, die ab April 2016 sogar auf 80 Milliarden Euro erhöht wurden. (Seit April 2017 wurde die Summe wieder auf 60 Milliarden Euro monatlich gesenkt.) Auch wenn es zwischen 2015 und heute immer wieder punktuelle Volatilitätsschübe bei Eurobonds gab, so hat die Nachfrage des grössten Euro-Bond-Investors insgesamt für nachhaltig stabile Kurse am Obligationenmarkt gesorgt. 

Werden Anleger zur Unzeit verstärkt in Indexfonds investieren?

Erst in diesem Jahr wird sich die EZB aus der Rolle des Bond-Staubsaugers verabschieden. Ab dem Herbst 2018 wird sich die Nachfragesituation am Euro-Bondmarkt voraussichtlich normalisieren. Heute mag es nachvollziehbar sein, das Durationsrisiko bei Eurobonds-Portfolios zu senken, aber das gilt nicht für die Zeit zwischen 2009 und 2018, die für viele Bond- und Mischfondsanleger im Ergebnis verlorene Jahre waren. 

Tragischerweise dürfte die langjährige miese Performance vieler Obligationen- und Mischfonds Anleger genau in der Situation zu passiven Produkten treiben, in der die Rückschlaggefahr am Bond-Markt tatsächlich reell ist. (Achtung: Das ist kein Plädoyer gegen Bond-ETFs, sondern ein Hinweis darauf, dass das Versagen vieler aktiv verwalteter Fonds zu falschen Timing-Entscheidungen führen könnte.) 

"PIGS"-Phobie erweist sich für Bond-Manager als Performance-Bumerang

Die zweite Fehleinschätzung der Bond-Manager ist glücklicherweise nicht so weit verbreitet wie die erste, dürfte aber dennoch etliche Anleger auf eine falsche Fährte geführt haben: Die grundsätzlichen Zweifel an der Schuldentragfähigkeit der Euro-Südstaaten Italien, Spanien und Portugal, für die das unsägliche Akronym „PIGS“ geschaffen wurde, dürfte viele Anleger in Richtung bonitätsstarke Bonds aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden oder Finnland getrieben haben. Solche Investoren haben seit der Umschuldung Griechenlands signifikant underperformt. 

Tragischerweise haben einige Vermögensverwalter versucht, diesen Zweifeln mit einer grundsätzlichen Kritik an der Struktur des Bond-Markts mehr Gewicht zu verleihen. Die grössten Schuldner der Eurozone wiesen das grösste Gewicht in den Benchmarks auf, war eine oft geäusserte Warnung, die mit den "Hinweis" auf die vermeintlich grundsätzlich fehlerhafte Konstruktionslogik von Bond-Indizes verbunden wurde. Doch abgesehen davon, dass dieser Befund falsch ist – in Benchmarks wie dem Bloomberg Barclays Euro Aggregate Bond haben Papiere aus Frankreich und Deutschland ein grösseres Gewicht als solche aus Italien und Spanien-, so war die Warnung vor Peripheriebonds in der konkreten Situation realitätsfremd. Gerade weil die EZB spätestens seit 2012 höchst effektiv an der Stabilisierung der Eurozone arbeitete, hätten sich die Kassandrarufer unter den Fondsmanagern des Bonmots aus den USA vergegenwärtigen müssen: „Never fight the FED“. 

Viele Fondsmanager haben berechtigte Zweifel daran geäussert, dass die Politik in Europa die Atempause, welche ihr die ultralockere Geldpolitik der EZB verschafft hat, nutzen werde, um die strukturellen Probleme der Eurozone zu beheben. Aber sie haben aus einem weit in die Zukunft gerichteten Problem irrigerweise einen akuten anlagerelevanten Notruf abgeleitet. Doch Vermögensverwalter haben die Verantwortung, Performance im Hier und Jetzt einzuspielen und nicht die Aufgabe, sich als Euro-Doomsday-Propheten zu üben. 

Vermögensverwalter haben die Verantwortung, Performance im Hier und Jetzt einzuspielen und nicht die Aufgabe, sich als Euro-Doomsday-Propheten zu üben

Schlimmer noch: Etliche Fondsmanager haben mit ihrer Anti-EZB-Polemik – hoffentlich unwillentlich – ihrer eigenen Zunft die Legitimität abgesprochen. Das gezielte Eingehen von Risiken ist das A und O der Arbeit eines jeden Vermögensverwalters. Wer nur Risiken vermeidet, gibt faktisch eine Empfehlung für Tagesgeldkonten ab, die in der Regel nichts kosten, aber auch nichts bringen. 

Man darf, kann, ja muss den Managern von Euro-Bond-Fonds (bzw. von defensiven Mischfonds), die nach 2010 prinzipiell nur auf deutsche, finnische und österreichische Bonds gesetzt haben, eine gewisse ideologische Verblendung vorwerfen. Sie haben mit Null-Spread-Nicht-Wetten den von ihnen verwalteten Fonds bzw. ihren Anlegern ein Performance-Problem beschert. Sie hätten es besser wissen müssen.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich