Im ersten Teil des Interviews mit Klaus Kaldemorgen haben wir über seine aktuelle Einschätzung der Risiken an den Kapitalmärkten gesprochen und welchen Anforderungen ein Multi-Asset-Ansatz an Fondsmanager stellt (hier gelangen Sie zum ersten Teil des Interviews). Im zweiten Teil lesen Sie mehr über den beruflichen Werdegang des prominenten Fondsmanagers, warum er ungeachtet des rasanten ETF-Wachstums noch an das aktive Management glaubt, und warum eine gemischte Altersstruktur Fondsmanagerteams gut tut.
Herr Kaldemorgen: Sie haben in den 1980er Jahren Ihre Karriere im Bondmanagement gestartet, haben dann lange und erfolgreich Aktienfonds verwaltet. Heute sind Sie ein, wiederum erfolgreicher, Multi-Asset-Fondsmanager. Was ist die Story hinter diesen Stationen?
Vieles hat sich ergeben, insofern liest sich so ein Lebenslauf vielleicht gradliniger, als es der Fall ist. Dass ich in den 1980er Jahren zum Bondmanagement gekommen bin, war Zufall. Als ich bei der DWS anfing, gab es nur vier Portfolio-Manager. Einen Manager für deutsche Renten, einen für internationale Renten und dann zwei Fondsmanager für deutsche und internationale Aktien. Ich kam als fünfter dazu. Auf der Rentenseite war am meisten los, da hiess es, hilf mal aus, da ist viel zu tun. Zinsanlagen waren damals noch das A und O, Aktien waren dagegen eine Nische. Das hat sich kurz darauf deutlich geändert, und da haben sich Karrieremöglichkeiten ergeben. So bin ich Aktienfondmanager geworden. Meine letzte Station habe ich dann schon viel bewusster angesteuert: Wenn man Jahrzehnte lang auf Ebene einzelner Asset-Klassen unterwegs war, dann hat man schon den Wunsch, ein Gesamtbild der Kapitalanlage zu entwickeln und zu implementieren. Dieser Schritt war für mich eine logische Entwicklung.
Die Expertise, die Sie sich in den einzelnen Asset Klassen erworben haben, können Sie jetzt zusammenzubringen.
Mich hat auch zunehmend gestört, dass man als Aktienfondsmanager typischerweise nur relative Risiken im Blick haben soll. Man wird also nicht unbedingt dafür belohnt, wenn man die Risiken für den Anleger absolut verringert oder sogar verhindert hat.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich habe ja lange Zeit internationale Aktienfonds gemanagt. Deren Benchmarks sind typischerweise sehr stark Dollar-lastig. Wenn ich das Dollar-Risiko in meinen Fonds reduziert habe, weil ich das Risiko eines Euro-Investors reduzieren wollte, bin ich ein relatives Risiko eingegangen, weil ich von der Dollar-Benchmark abgewichen bin. So etwas einem im Zweifel angekreidet - auch wenn diese Abweichung das Ziel hatte, das absolute Risiko, also das Verlustrisiko, für Investoren zu reduzieren. Schliesslich waren ja so gut wie alle Inverstoren im DWS Vermögensbildungsfonds I und DWS Akkumula Euro-Investoren! Das war schon frustrierend.
Mich hat zunehmend gestört, dass man als Aktienfondsmanager nicht dafür belohnt, wenn man die absoluten Risiken für den Anleger verringert
Die meisten Investoren honorieren es auch nicht, wenn der Index 40% nachgibt und der Fondsmanager um zehn Punkte outperformt hat.
Ja, das kommt noch dazu. Der Vorteil, einen Multi Asset Fonds zu managen ist, dass man viel mehr den Absolute Return im Blick haben muss. Und, machen wir uns nichts vor: Das Aktienfondsmanagement wird immer mehr zur Domäne von passiven Fonds. Der bemerkenswerte Trend hin zu den Passiven hat die Asset Management Branche schon stark verändert - und wird sie vermutlich noch mehr verändern. Aktiv verwaltete Aktienfonds wachsen heute kaum noch. Der Aktienmarkt wird zunehmend effizienter und immer mehr von Faktormodellen strukturiert. Auch deshalb hat mich der Schritt hin zu Multi Asset Fonds gereizt. In dem Bereich kann man die Vorteile des aktiven Managements durch eine holistische Sicht sehr viel klarer ausspielen als bei reinen Aktienfonds.
Sie haben das Stichwort Faktorinvestments erwähnt: Heute schiessen so genannte Smart Beta Fonds und -ETFs wie Pilze aus dem Boden. Ist das wirklich so einfach: Man screene den Markt quantitativ, segmentiere und teile ihn und setze ihn nach einer Formel wieder zusammen und fertig ist das aktive Management?
Nein, so einfach ist das nicht, denn Märkte sind dynamisch. Es kommen immer neue Entwicklungen ins Spiel, die man berücksichtigen muss. Faktormodelle und deren Algorithmen orientieren sich an der Vergangenheit. Wer einen Investmentansatz danach aufsetzt, folgt der Annahme, dass das, was in der Vergangenheit geklappt hat, auch in Zukunft funktionieren wird. Wenn sich nichts an der Struktur der Märkte ändert, dann kann das auch so kommen. Allerdings gibt es immer wieder Strukturbrüche, und da haben solche Modelle Schwierigkeiten. Deshalb glaube ich, dass man für die langfristige Performance aktives Management braucht. Aktive Manager können Strukturbrüche erkennen - und hoffentlich die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
Tappt die ETF Industrie hier in eine selbst gestellte Falle? So genannte Smart Beta ETF haben den Anspruch, Mr. Market zu übertreffen. Das steht der Idee des Indexierens entgegen. Schlägt das Pendel vielleicht auch wegen Smart Beta in der Zukunft wieder zurück Richtung aktive Manager?
Das hängt vom Marktsegment ab. Ich glaube, dass in den stark strukturierten Aktienmärkten in Europa und den USA es kein Zurück mehr geben wird. Hier wird der Anteil der passiven Fonds weiter zunehmen. Es ist extrem schwierig, in manchen Märkten mit einem aktiven Fonds gegen ETFs zu konkurrieren. Zeigen Sie mir den aktiven US Large-Cap Manager, der jedes Jahr Kostennachteile von 100 Basispunkten und mehr ausgleichen und den S&P 500 übertreffen kann. Das können nur ganz wenige über längere Zeiträume. Im Bereich der Small und Mid Caps und auch bei Schwellenländern sieht das anders aus, da hat aktives Management Vorteile.
Sie managen seit rund 35 Jahren Portfolios. Welche Unterschiede können Sie zwischen sich damals und den Junior-Portfoliomanagern von heute festmachen?
Die Berufsanfänger von heute sind mit Abstand besser ausgebildet für das, was sie im Asset Management erwartet, als ich es damals war. Ich komme noch aus einer Zeit, in der man sich ein sehr breites theoretisches Wissen an der Universität erarbeitet hat, das aber nicht praxisnah war. Heute sind die Absolventen finanzmathematisch sehr viel versierter, die kennen ihren Bloomberg. Das hat bei uns an der Uni keine Rolle gespielt. Die Moderne Portfoliotheorie von Markowitz habe ich erst im Laufe meiner Karriere kennengelernt. Die Finanzindustrie hat sich auch insgesamt sehr viel weiter entwickelt, auch bedingt durch den immensen technologischen Fortschritt.
Werden technologische Entwicklungen nicht überschätzt? Wer die grossen Zusammenhänge versteht, hat gegenüber Quants doch Vorteile.
Man wird mit der Zeit nicht ärmer an Erfahrung, und das ist in unserer Industrie ein Gewinn, jedenfalls dann, wenn man Informationen einordnet und die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Wichtig ist, dass man Erfahrungen in den aktuellen Kontext stellt. Ich glaube auch, dass man mit der Zeit eine gewisse innere Balance entwickelt, die bei der Einschätzung von Risiken helfen kann.
Für die langfristige Performance braucht es aktives Management. Aktive Manager können Strukturbrüche erkennen - und hoffentlich die richtigen Schlüsse daraus ziehen
Schwarzer Montag, Russlandkrise, Dotcom-Krise, Finanzkrise. Wer vor 2,3 Jahren aus der Uni gekommen ist, der kennt nur die scheinbar ewige Hausse seit 2009 …
Das hat nicht nur Nachteile. Wer die Erfahrungen von 2008 nicht gemacht hat, kann auch unbefangener vorgehen und vielleicht die Chancen besser nutzen, als derjenige, der in gewissen Situationen aufgrund gemachter Erfahrung mit angezogener Handbremse an die Sache rangeht und nur nach dem Ausschau hält, was schiefgehen könnte. Es ist die Kombination, die den Erfolg eines Teams ausmacht.
Welchen beruflichen Weg hätten Sie eingeschlagen, wenn Sie sich nicht für das Portfoliomanagement entschieden hätten?
Ich habe VWL studiert, insofern hätte ich in verwandten Gebieten eine berufliche Perspektive gesucht. Ich hätte mir auch vorstellen können, in anderen Bankbereichen zu arbeiten. Ich wäre auch gerne zur Bundesbank gegangen. Als ich dann eine Zeit als Portfoliomanager gearbeitet hatte, hätte mich es gereizt, mit sehr wohlhabenden Investorenfamilien die Vermögensanlage zu diskutieren und zu strukturieren. Da wären ganz andere Themen, wie Immobilien, und viel komplexere, langfristigere Aspekte bei der Vermögensverwaltung ins Spiel gekommen.
Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Sie eine Harley fahren. Finden Sie überhaupt noch Zeit, sie zu bewegen?
Die Zahl der Fahrten ist leider überschaubar. Aber auch wenn die Harley längere Zeit ungenutzt in der Garage steht, pflege ich sie regelmässig – und freue mich einfach, dass sie da ist. Ich habe mich inzwischen etwas weiterentwickelt. Neben der Harley habe ich auch eine Indian. Das ist eine Motorrad-Ikone, deren Produktion schon in den 1950er Jahren eingestellt wurde. Es gibt kaum noch Leute, die so etwas warten oder reparieren. Die Maschine ist eine Antiquität.
Die Antiquität einzumotten und als Investment der anderen Art zu lagern, kommt nicht in Frage?
Nein, die wird bewegt! Es mag auch eine Wertanlage sein, aber man sollte daraus doch so viel Eigennutz ziehen, dass man sie fährt oder auch nur anschaut. Es wäre eine Verschwendung, die als Antiquität einzumotten. Jetzt, wo das Wetter schöner geworden ist, geht es demnächst gerne in den Rheingau zur ersten Fahrt in diesem Frühling.
Die Fragen stellte Ali Masarwah