Im ersten Teil unseres Artikels haben wir uns mit den aktuellen Wachstumsprognosen der Verantwortlichen der ETF-Branche beschäftigt (lesen Sie hier). Im zweiten Teil wollen wir uns einige der Annahmen etwas genauer anschauen und mit der Realität des europäischen Fondsmarkts kontrastieren. Dabei konzentrieren wir uns auf das Wachstum des Produktsegments Strategic Beta, in das vor allem die ETF-Entscheider in Europa große Hoffnungen stecken. (In den USA ist das anders; seitdem die SEC im Herbst 2014 ein ETF Produkt zugelassen hat, dessen Portfolio nur eingeschränkt transparent sein muss, wollen die Entscheider jenseits des Atlantik offenbar diskretionäre Strategien verstärkt in ETF-Hüllen vermarkten.)
Doch zunächst wollen wir den Faktor Regulierung etwas stärker unter die Lupe nehmen. In Europa wird das in zahlreichen Märkten erwartete Verbot von Retrozessionen als Wachstumschance für ETFs gesehen. Das ist in der Realität für Beobachter schwer zu überprüfen, da das allermeiste Vermögen in ETFs steckt, die paneuropäisch bzw. global vertrieben werden und es entsprechend schwierig ist, die Quellen der Zu- und Abflüsse zu lokalisieren.
Die Schweiz, Großbritannien und die Niederlande liegen vorn
Besser sieht es bei Indexprodukten aus, die nicht börsenkotiert sind. Hier lässt sich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, wo die Anlegergelder herkommen. Die hohen Mittelflüsse in Indexfonds in den Ländern, in denen sich der Provisionsvertrieb im Umbruch befindet, scheinen die These zur bahnbrechenden Wirkung der Vertriebsregulierung zu bestätigen. Wie aus unseren Daten hervorgeht wurden per Ende April in diesem Jahr 4,43 Milliarden Euro netto in Indexfonds investiert, die in der Schweiz vertrieben werden. An zweiter Stelle folgt Großbritannien mit Zuflüssen von 2,35 Milliarden Euro. Platz drei belegen die Niederlande mit Nettozuflüssen von 401 Millionen Euro in nichtbörsennotierte Indexfonds in den ersten vier Monaten dieses Jahres. Noch stärker heben sich die Schweiz und Großbritannien ab, betrachtet man die Zuflüsse der vergangenen 12 Monate, wie unten aus der Tabelle hervorgeht.
Tabelle: Die höchsten Zuflüsse in nichtbörsennotierte Indexfonds in Europa
Auffällig ist auch, dass nichtbörsennotierte Indexfonds deutlich stärker wachsen als aktiv verwaltete Fonds. Die organische Wachstumsrate, die Performance-Effekte aus dem Vermögenswachstum herausrechnet, lag europaweit bei 10,2% in den vergangenen 12 Monaten bei Indexfonds versus 7,4% bei aktiv verwalteten Fonds.
Die organische Wachstumsrate von ETFs war mit 20% in den vergangen 12 Monaten deutlich höher. Das ist nicht verwunderlich, da ETFs für die Masse der Anbieter viel besser zugänglich sind als die nur eingeschränkt vertriebenen Indexfonds, die in großen Teilen Kontinentaleuropas wegen der hohen Mindestanlagesummen nur für institutionelle Investoren zugänglich sind. Insofern scheint sich diese These der ETF-Entscheider zu erhärten.
„Smart“ ist eher „Strategic“ – und muss nicht intelligent sein
Kommen wir nun zum Wachstum des Strategic Beta-Segments. Hier dürfen die ETF-Anbieter noch auf Wachstum hoffen. Bisher war es aber überschaubar, und selbst das verwaltete Vermögen in solchen Produkten liefert ein eher trügerisches Bild. Doch erläutern wir zunächst kurz, was wir unter Strategic Beta ETFs verstehen. Wir unterteilen diese Produkte in die drei Segmente: renditeorientiert, risikoorientiert und „sonstige“. Renditeorientierte Strategic Beta ETFs haben das Ziel, die Performance ihrer marktkapitalisierungsgewichtete Pendants zu übertreffen, risikoorientierte Produkte sollen das – wie auch immer gemessene – Risiko dagegen reduzieren. „Sonstige“ Strategic Beta ETFs sind eine heterogene Gruppe, die nicht den o.g. Kateogiren zuzuordnen ist. Sie umfassen in erster Linie Rohstoffprodukte.
Kommen wir zunächst zum Wachstum. Das stärkste organische Wachstum liefern risiko-orientierte Produkte. In den vergangenen 12 Monaten wiesen sie ein Plus von 131% auf. Es folgten die renditeorientierten Strategic Beta Produkte mit einem organischen Wachstum von 40%. Das ist deutlich mehr als das Wachstum der herkömmlichen „Plain Vanilla“ ETFs, die mit einer Jahresrate von 18,6% wuchsen.
Von 3,5 auf 6,3% in drei Jahren
Sind Strategic Beta also die großen Hoffnungsträger der ETF-Branche in Europa? Das ist fraglich. Bislang liegt der Marktanteil von Strategic Beta Produkten in Europa gerade einmal bei 6,3%. Auch, wenn sie weiterhin überdurchschnittlich wachsen sollen, wird es noch geraume Zeit dauern, bis sie sich zu einem wichtigen Faktor im europäischen ETF-Markt mausern. Zum Vergleich: Per Ende 2011, als das stark wachsende Segment der risikoorientierten ETFs in Erscheinung trat, lag der Anteil der Strategic Beta Produkte am ETF-Markt bereits bei 3,5%.
Tabelle: Marktanteile von Strategic Beta 2008 bis 2014
Das – relativ gesehen -- erfolgreichste Jahr hatten Strategic Beta ETFs im Jahr 2013, als der ihr Anteil an den Nettomittelzuflüssen in ETFs bei 27% lag. Doch das lag weniger an der Absatzstärke dieser Produkte, sondern an der Schwäche der „klassischen“ ETFs, die in dem Jahr unter den hohen Abflüssen aus Gold-ETFs litten und nur mäßige von Zuflüssen in Aktien-ETFs profitierten. Als dann die Zuflüsse in Plain Vanilla Aktien- und Bond-ETFs im Jahr 2014 merklich anzogen ging der Anteil der Nettozuflüsse in Strategic Beta ETFs auf 10,3% zurück.
Ein weiterer Faktor scheint auch gegen ein exponentielles Wachstum des in Strategic Beta ETFs investierten Vermögens zu sprechen. Das Gros der Mittel – rund 75% -- steckt in Dividenden-ETFs. Diese Indizes, die diesen Produkten zugrunde liegen, sind größtenteils nach Dividendenrendite gewichtet. Nimmt man ihr Ziel, eine Outperformance zu erreichen zum Maßstab, dann waren diese Produkte seit 2008 nur mäßig erfolgreich.
Dividendenkönige oder von Banken und Versorgern
Die Dividendenkönige waren vor der Finanzkrise unter den Banken zu finden, und in den vergangenen Jahren bei Telekoms, Versorgern und Energiewerten. Die Performance von Ersteren war in der Finanzkrise katastrophal, und das Übergewicht der Letzteren hatte zur Folge, dass Dividenden-ETFs in den vergangenen fünf Jahren eine bescheidene Performance gegenüber marktkapitalisierungsgewichteten ETFs aufwiesen.
Aufgrund der recht kruden Gewichtungslogik von Dividendenprodukten erscheint es zweifelhaft, dass es sich hier um wirklich „smarte“, im Sinne von hoch performanten Algorithmen handelt.
Dieser etwas detailliertere Blick auf die Welt der ETFs von heute führt uns zur These: Die Bäume werden bei Smart Beta ETFs auf absehbare Zeit nicht in den Himmel wachsen – Wohl und Wehe der ETF-Branche hängen an den Brot- und Butter-Produkten, welche den Gesetzen der Markt- und Schuldenkapitalisierung folgen. Im Falle von Aktien-Indizes muss das nichts Schlimmes für Anleger und ETF-Branche verheißen. Auch wenn die Erträge der ETF-Anbieter auf dieser Basis nicht in den Himmel wachsen, steckt das meiste Geld in skalierbaren Produkten. Bei den ETFs auf den MSCI World oder S&P 500 werden die Skaleneffekte auf Sicht auskömmliche Erträge ermöglichen – die großen Aktien-ETFs in den USA weisen dreistellige Milliarden-Dollar-Volumina auf!
Auch für die Anleger dürften Plain-Vanilla-Aktien-ETFs eine gute Lösung sein, wie die bisherige Bilanz gezeigt hat. Die Situation an den Aktienmärkten erscheint heute unproblematisch – ungeachtet der recht hohen Bewertungen ist keine mit der Dot-Com-Blase vergleichbare Unwucht an den Aktienmärkten zu konstatieren.
Bond Crash dürfte Spuren hinterlassen
Anders dagegen die Situation bei Bond-ETFs. Hier könnte die Tatsache, dass die größten Schuldner die am stärksten gewichteten Indexbestandteile sind, Anleger bei einer Eskalation der Situation der hoch verschuldeten Staaten und Unternehmen in Schwierigkeiten bringen. Hier sollte man der ETF-Branche die Daumen drücken, dass risikoorientierte Bond-ETFs ein starkes Wachstum hinlegen. Da jedoch im Moment Risiken am Bond-Markt auskömmlich belohnt werden und fundamentalgewichtete Bond-ETFs in den vergangenen Jahren schwach performt haben, ist das jedoch eine schwache Hoffnung. Risikoorientierte Bond-ETFs sind heute allenfalls mit der Lupe zu finden: 99,5% aller Assets in europäischen Renten-ETFs stecken in herkömmlichen Produkten, die im Falle einer -- wie auch immer gearteten – Krise am Bond-Markt deutlich stärker in Mitleidenschaft gezogen würden als fundamental gewichtete ETFs.