Es gehört inzwischen zum Mantra der Vermögensverwalter, dass EZB-Präsident Mario Draghi der Retter der Eurozone ist: Ob Euro-Rettung oder das Ankurbeln der Konjunktur mit der extrem lockeren Geldpolitik - „Supermario“, so die Botschaft, wird es schon richten. Die logische Schlussfolgerung: Vermögenswerte aller Couleur, am liebsten natürlich Aktien und Spread-Produkte, lohnen sich. Und in der Tat: Seitdem der EZB-Chef Ende Juni 2012 in London ankündigte, alles zu tun, um die Gemeinschaftswährung zu retten, haben sich Risiko-Assets – ungeachtet gelegentlicher Rücksetzer - als höchst lohnenswert erwiesen.
Doch prominente Volkswirte warnten auf der deutschen Morningstar Investment Konferenz in Frankfurt am 12. November: Es besteht die Gefahr, dass das Fundament der Hausse ins Wanken gerät: Die EZB verliert unter Marktteilnehmern an Glaubwürdigkeit. Laut Professor Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das die deutsche Regierung berät, lässt sich dieser fortschreitende Glaubwürdigkeitsverlust an der Reaktion der Unternehmen auf die geldpolitischen Lockerungsschritte der EZB im Zeitverlauf festmachen. „Die niedrige Inflationserwartung lässt darauf schliessen, dass die Unternehmen es der EZB nicht zutrauen, langfristig die Preisstabilität zu sichern. Schlimmer noch: Selbst die EZB gehe inzwischen davon aus, dass es ihr in den nächsten 3-4 Jahren nicht gelingen werde, ihr Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen. „Das ist besorgniserregend“, sagte Fratzscher.
EZB-Inflationsziel von rund 2% liegt in weiter Ferne
Vergegenwärtigt man sich, dass die Teuerungsrate in der Eurozone aktuell bei 0,3% liegt und selbst im relativ gesunden Deutschland unter der Marke von 1% stagniert, dann muss man konstatieren, dass die EZB bereits seit Jahren ihr eigentliches Ziel, die Inflationsrate bei rund 2% zu verankern, beständig verfehlt. Das nagt am Vertrauen.
Auch Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, die zur deutschen Sparkassengruppe gehört, sieht die Glaubwürdigkeit der Euro-Notenbank in Gefahr. „Die EZB hat seit 2011 viel erreicht, aber jetzt muss die Realwirtschaft anspringen, doch das passiert nicht“, so Kater. Tatsächlich tritt die Konjunktur in der Eurozone auf der Stelle. Selbst die EU-Kommission hat Anfang des Monats ihre BIP-Prognose auf 0,8% von zuvor 1,2% gesenkt. Für das nächste Jahr wurde die Wachstumsprognose noch drastischer zusammengestrichen. In Brüssel geht man nur noch von einem Plus von 1,1% statt zuvor erwarteten 1,7% aus.
Kater von der DekaBank formulierte es vorsichtiger als Fratzscher: „Das grösste Kapital einer Zentralbank ist das Vertrauen, das ihr entgegengebracht wird“. Zwischen den Zeilen heißt das: Der Zauber von „Supermario“ wirkt nicht mehr so, wie weiland auf dem Höhepunkt der Eurokrise, als die bloße Ankündigung, Anleihen der Eurokrisenländer unbegrenzt am Sekundärmarkt kaufen zu können (OMT-Programm, steht für „Outright Monetary Transactions“) ausreichte, um die Spreadausweitung von Italien- und Spanienbonds zu stoppen. Im Zuge des OMT-Programms, wir erinnern uns, floss kein müder Euro, um die Kurse von spanischen oder italienischen Anleihen zu stützen.
Wie real ist die Deflationsgefahr in der Eurozone?
Angesichts dieses anämisch bis nicht vorhandenen Wachstums wundert es nicht, dass viele Beobachter inzwischen von der Gefahr einer Deflation sprechen. Wie real ist die Gefahr? Für Fratzscher ist diese Frage bereits beantwortet: „In vielen Sektoren ist die Deflation bereits Realität, auch wenn der Preisanstieg noch über der Nullinie liegt, denn hier handelt es sich nur um Durchschnittswerte“.
Auch Kater misst der derzeitigen Mini-Teuerungsrate von 0,3% nicht allzuviel Bedeutung bei: „Die Deflation findet in den Köpfen statt“. Diese Erwartung spiegele sich derzeit am Rentenmarkt und auch beim Goldpreis wider, der sich entgegen der Annahmen der meisten Investoren in diesem Jahr sehr freundlich gezeigt habe. Laut DIW-Präsident Fratzscher ist es angesichts des Rückkehrs der USA und Grossbritanniens zum Wachstum wahrscheinlich, dass sich der Druck auf die Zinsstrukturkurve in der Eurozone weiter erhöhen werde. Eine Zinswende liegt hierzulande also in weiter Ferne.
Ein Kernproblem ist laut beiden Referenten die Krise des Bankensystems in der Eurozone. „Der Transmissionsmechanismus ist gestört, die Kreditvergabe stockt, und deshalb erreicht die lockere Geldpolitik nicht die Unternehmen“, so Marcel Fratzscher, der vor allem südeuropäische klein- und mittelständische Unternehmen als unterversorgt sieht. „Vielleicht war es ein Fehler, ein vorzeitiges Kündigungsrecht in den EZB-Tender einzubauen“, so Dr. Kater von der DekaBank. Dies spiegele sich in der sinkenden Bilanzsumme der EZB wider.
Zwischen Konjunkturprogrammen und Wirtschaftsreformen: Welches ist die richtige Medizin für die Eurozone? Und welche Szenarien lassen sich für Investoren ableiten? Lesen Sie hier weiter über die Debatten auf der deutschen Morningstar-Konferenz.