So ähnlich die Diagnosen der Volkswirte auf der deutschen Morningstar Investment Konferenz in Frankfurt am Main waren (lesen Sie hier mehr), so gingen doch die Ansichten hinsichtlich der richtigen Therapie für die schwächelnde Euroland-Wirtschaft teilweise deutlich auseinander. Für Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, ein Institut, das auch einen Sitz im Beratungsgremium der deutschen Regierung inne hat (Rat der Wirtschaftsweisen), sind Konjunkturprogramme der richtige Weg. Allerdings ist er Realist genug um festzustellen: „Es gibt bei dem heutigen Verschuldungsniveau der Euro-Südländer keinen Spielraum für Fiskalmaßnahmen“. Die Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs: Deutschland kann und muss mehr auf der Nachfrageseite tun, und die expansive Linie der EZB muss mehr Unterstützung finden – gerade in Deutschland. Es gehe allerdings vor allem darum, Impulse zu setzen, um Unternehmensinvestitionen wieder anzukurbeln.
Die deutsche Regierung erhört den Ruf nach Konjunkturstützen - ein bisschen
Interessant ist, dass der DIW-Chef vor wenigen Wochen öffentlichkeitswirksam Konjunkturprogramme gefordert hatte und dafür reichlich Kritik erntete. Vor wenigen Tagen hat er nun einen unverhofften Verbündeten gefunden: Der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kündigte überraschend an, zusätzlich zehn Milliarden Euro für öffentliche Investitionen zur Verfügung zu stellen. „Die zehn Milliarden Euro werden auf drei Jahre von 2016 und 2018 gestreckt. Das macht zwar gerade einmal 0,1% der Wirtschaftsleistung aus, aber es geht darum, dass die Bundesregierung mit dieser Ankündigung ein wichtiges Zeichen gesetzt hat, nämlich, dass sie verstanden hat“, sagte Fratzscher, der dezidiert forderte, die Nachfrage in der Eurozone anzukurbeln. Mehr hält er von die Initiative von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der jüngst mit einem Konjunkturprogramm im Umfang von 300 Milliarden Euro das Wachstum in der Eurozone ankurbeln will.
Fratzscher bewertet auch die Geldpolitik der EZB positiv - inklusive der in Deutschland höchst umstrittenen ABS-Käufe. „Dass die EZB jetzt von manchen Kritikern als ´bad bank´ dargestellt wird, die ´Ramschanleihen´kauft, ist verantwortungslose Panikmache - und ist auch faktisch falsch“, ging er die Kritiker der expansiven Linie der EZB an. Zwar sieht auch Fratzscher das Anleihekaufprogramm der EZB als wenig effektiv, allerdings – hier brachte der DIW-Chef wieder die Psychologie ins Spiel – wäre dies ein positives Signal, und das sei „besser als kein Effekt“. Fratzscher: „Nichtstun ist für die EZB keine Option“.
Angebotspolitik kontra Nachfragepolitik
Eine eher angebotsorientierte Linie vertrat Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt bei der DekaBank, die zur deutschen Sparkassengruppe gehört. Er forderte explizit „mehr Respekt vor der dem Prinzip der Schuldentragfähigkeit“. Für ihn sind vor allem Reformen der Weg zurück zum Wirtschaftswachstum, wobei er einräumte, dass dies nur eine Politik der kleinen Schritte möglich mache. „Wir werden es in den nächsten Jahren mit einer Art Wellblechkonjunktur zu tun haben,“ so Kater. Mit anderen Worten: Statt dem bisher bekannten Konjunkturverlaufsmuster wird die Wirtschaftserholung der Eurozone in den nächsten Jahren nur schleppend verlaufen und von Rücksetzern durchsetzt sein – das Ergebnis kleiner Schritte.
Im Gegensatz zu so manch anderem prominenten deutschen Volkswirt gab sich Kater als eher pragmatischer Verfechter einer angebotsorientierten Politik zu erkennen. Für eine effektive Nachfragepolitik fehlten in der Eurozone die Voraussetzungen, da es sich bei der EU nicht um ein Zentralstaat handele. Nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen seien weitreichende fiskalpolitische Unterstützungsmaßnahmen des EU-Nordens zugunsten des EU-Südens unmöglich. Deshalb komme es vor allem darauf an, dass die Nationalstaaten die Angebotsbedingungen verbesserten. Mit anderen Worten: Das Wachstum wird nach der Meinung Katers am ehesten über einen Wettbewerb zwischen den Staaten gefördert. Soweit der klassische deutsche Volkswirt. Allerdings konzedierte er, dass es ohne Impulse auf der Nachfrageseite wohl nicht gehen werde. Kater: „Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Vorgehen, und das beinhaltet Maßnahmen aus beiden Ecken: Strukturreformen und Stabilisierungsmaßnahmen – es geht um einen Nexus zwischen Angebots- und Nachfragepolitik“.
Bringt "Wellblechkonjunktur" die Aktienmärkte nach vorne?
Folgt man der Diagnose von Ulrich Kater und geht man für die nächsten Jahre von einer „Wellblechkonjunktur“ aus, dann sehen die Perspektiven für Anleger beileibe nicht so klar aus, wie es die Vermögensverwaltungsindustrie propagiert. Man erinnere sich nur an den beängstigenden Konsens unter Asset Managern zum Ausgang des vergangenen Jahres, wonach man als Anleger in Europa im Jahr 2014 Aktien Renten auf jeden Fall vorziehen sollte. Wie es so ist, es kommt immer anders als man erwartet: Bisher hatten Anleger in Euro-Staatsanleihen gegenüber Eurozonen-Aktienanlegern die Nase vorn.
Kurzfristig ist der Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater, der keine Deflation in der Eurozone erwartet, für Bonds nicht negativ gestimmt, gab allerdings zu bedenken, dass man im kommenden Jahr nur mit mehr Risiko auf eine Bond-Rendite von 3-5% kommen könne. Um auf einen Total Return in dieser Höhe zu kommen, reichten Staats- und hochqualitative Unternehmensanleihen nicht aus. Dass es ein – wenn auch anämisches – Wachstum gebe, stimme ihn für Aktien 2015 allerdings positiv, und er gehe auch von „stabilen“ Immobilienpreisen aus, so Kater weiter.
Marcel Fratzscher von DIW sieht ebenfalls keine Gefahr für eine Immobilienblase in Deutschland, auch wenn die Lage in Ballungsräumen wie Frankfurt, Berlin oder München angespannt sei. Betrachte man die langjährige Stagnation der Immobilienpreise, sei die derzeitige Preissteigerung „in Ordnung“. Er begründete dies auch mit der traditionell niedrigen Eigenheimquote in Deutschland. Bei Aktien beschränkte sich Fratzscher auf die lakonische Feststellung: „Da sucht Liquidität nach Anlagemöglichkeiten“.
Investmentkultur kommt nur durch staatliche Intervention zustande
Eine weitere Frage stellte sich im Laufe zahlreicher Diskussionen auf der Morningstar Konferenz: Wie motiviert man Anleger in Deutschland, die extrem niedrige Aktienquoten in ihren Portfolios aufweisen, mehr auf den Sachwert „Aktie“ zu setzen? Sowohl Ulrich Kater als auch Marcel Fratzscher plädierten hier für mehr staatliche Förderung. „Der Weg zur Aktie führt nicht über die rationale Schiene, sondern über den Bauch, und die hohe Volatilität schreckt Anleger ab“, brachte es Dr. Kater auf den Punkt. Seine Schlussfolgerung: Der Gesetzgeber müsse Anreize schaffen. Fratzscher forderte den Ausbau der staatlich geförderten betrieblichen Aktienvorsorge nach dem Muster der 401-k-Pläne in den USA. Eher kritisch beurteilte er die bereits vorhandenen Instrumente: Die Riester-Rente sei ein Flop, da diese Sparpläne „kaum Rendite“ gebracht hätten. Hier erntete er den Widerspruch des Deka-Volkswirtes: Zumindest habe die Riester-Rente dazu geführt, dass die mittleren und unteren Einkommensschichten „überhaupt Wertpapiere in ihren Depots“ hätten.
Einen ganz anderen Weg beschritt Friedrich von Metzler. Der Partner und persönlich haftende Gesellschafter der Bank Metzler konnte das Publikum mit einer beeindruckenden Abschlussrede fesseln. Er brachte mit seinem Vortrag unter der Überschrift „Kundenorientierung und Geschäftserfolg in der Finanzbranche – (k)ein Widerspruch!“ die Beraterebene ins Spiel. "Ich würde mir sehr wünschen, dass die Banken mehr Aufklärungsarbeit in Sachen Aktie leisteten. Das täte der Aktienkultur in Deutschland gut", so von Metzler und fügte hinzu: "Ich bin überzeugt davon, dass eine kompetente, persönliche und auf Dauer ausgerichtete Kundenbetreuung der beste Garant für den Geschäftserfolg ist. Ein Anleger, dessen Anlagesumme sich vermehrt, wird ein zufriedener Kunde sein und wenig Anlass haben, seinen Dienstleister zu wechseln". Es bleibt zu hoffen, dass in Zeiten des propagierten "Kulturwandels" bei vielen Bankhäusern dieser Ruf nicht ungehört verhallt.