Wir haben einiges zum Thema Faktor-Investing gelesen. Am Anfang war also Value- und Size-Investing (lesen Sie hier weiter). Liquidität (bzw. das Nichtvorhandensein derselben) hat sich über die Zeit als eine der zuverlässigsten Renditequellen entpuppt. Auch günstig bewertete Aktien liefern langfristig ansehnliche Prämien. Doch die Finanzwissenschaft entwickelt sich weiter, und im Laufe der Zeit wurden immer neue Faktoren ins Spiel gebracht: Momentum, Qualität, niedrige Volatilität und fundamentales Indexieren. Auch hier gilt das Motto: Je höher ein bestimmter Faktor, desto höher der Gewinn.
Viele schöne Ideen. Liefern sie auch Mehrwert?
Momentumstrategien, also Trendfolgesysteme, haben empirisch ihre Outperformance-Qualitäten bewiesen. Auch die Überrendite von niedrig schwankenden Aktienstrategien wurde beobachtet. Und sind nicht die Prinzipien hinter den so genannten fundamentalen RAFI-Indizes, hohe Umsätze, Cashflows, Dividenden und Buchwerte, intuitiv „bessere“ Gewichtungskriterien als die Regeln der Marktkapitalisierungsgewichtung? Ist nicht der Markt angesichts der vielen "smarten" Strategien ziemlich dumm?
An dieser Stelle ist Vorsicht angebracht. Spätestens jetzt sollten sich Investoren Gedanken über die Tragfähigkeit der vielen neuen und nicht ganz so neuen Konzepte zu machen. Denn man muss wissen, dass auf quantitative Strategien spezialisierte Fondsgesellschaften - vor allem ETF-Anbieter - regelbasierte Strategien (grob gesagt ein anderes Wort für Faktor-Investments) fast schon im Stundentakt auf den Markt werfen. Sie propagieren „neue“ Herangehensweisen, die mehr Rendite versprechen als die des Referenzmarktes.
Dazu stellen sich einige Fragen: Wer ist wirklich „intelligenter“ als der Markt? Und ist „anders“ auch wirklich immer „besser“? Die Fragen sind nicht trivial. Nicht jede vermeintlich schlaue Strategie liefert tatsächlich systematisch nachhaltig stabile Outperformance.
Viele Ansätze, die heute unter dem Begriff „Smart Beta“ firmieren, werden nicht das Zeug haben, über den Status von Eintagsfliegen hinaus zu wachsen. Warum? Etlichen dieser Konzepte fehlt die ökonomische Grundlage. Finanzmathematiker ermitteln zwar immer wieder bei bestimmten Wertpapieren Anomalien in Gestalt von überdurchschnittlichen Renditen. Sie vermögen allerdings oft nicht plausible Gründe für diese Outperformance zu liefern. Nicht das „Warum“ schlüssig beantworten zu können, impliziert jedoch, dass es sich weniger um ein Investmentkonzept als um eine Data-Mining-Übung, sozusagen eine Datensammlung, handelt. Obacht vor Scheinkausalitäten also!
Der Zusammenhang zwischen Speiseeis-Produktion und Badeunfällen
Auf unserer Morningstar Investment Conference in Amsterdam gab Peng Chen, CEO von Dimensional Fund Advisors, einige Beispiele für den Unterschied zwischen kausalen Wirkungszusammenhängen und bloßen Scheinkorrelationen. Aus statistischen Untersuchungen lasse sich erkennen, so Chen, dass mit steigender Speiseeis-Produktion die Zahl der Badeunfälle mit tödlichem Ausgang zunehme. Könnte man die Zahl der ertrunkenen Schwimmer dadurch reduzieren, dass die Herstellung von Eis unterbunden wird? Vermutlich nicht, denn die Ursache beider Phänomene sind die steigenden Sommertemperaturen; zwischen ihnen besteht aber kein inhaltlicher Zusammenhang.
Laut Chen müssen etliche Bedingungen für tragfähige, systematische und nachhaltige Prämien erfüllt sein. Die Prämien müssen logisch und ökonomisch begründbar sein, robust und persistent sein sowie zu günstigen Preisen einzufangen sein. Kritisch ging Chen mit Strategien ins Gericht, die auf niedrig schwankende Aktien setzen. „Low Volatility hat in den vergangenen 40 Jahren nur deshalb gut funktioniert, weil sich zufällig solche Aktien auch im Value-Universum befanden“, so Peng Chen. Gleiches gelte für fundamentale Indizes, die nach Umsätzhöhe, Cashflows, Dividenden und Buchwerte gewichtet sind. Im Wesentlichen stünden Bestandteile einer Value-Strategie dahinter, allerdings ohne den Preis zu berücksichtigen. „Es kann sehr teuer sein, den Preis einer Aktie zu ignorieren“, so Chen weiter.
Ist die Profitabilität ein Indikator für die künftige Performance?
Und selbst wenn die Renditen hinter einer Strategie ökonomisch begründet, plausibel und robust sein, hapere es oft bei der Umsetzung. Bei fundamentalen Strategien sei die Umsetzung teuer. Es gebe auch Einwände gegen Trendfolge-Strategien, so der Dimensional Fund Advisors CEO. Der Momentum-Effekt sei in der Praxis schwierig einzufangen. "Die Halbwertzeit ist sehr gering, und eine derartige Strategie verursacht sehr hohe Implementierungskosten", warnte Chen.
Peng Chen blieb der Konferenz die Frage nicht schuldig, welche Risikofaktoren bzw. Renditequellen aus Sicht von Dimensional tragfähig seien. Neben der Prämie von Aktien (gegenüber Staatsanleihen), Nebenwerten (vs. Standardwerten) und Value (gegenüber Wachstumswerten) hat Dimensional jüngst die erwartete Profitabilität eines Unternehmens als Prämie gegenüber Unternehmen mit einer niedrigen Marge ausgemacht.
Interessanterweise gerät Dimensional gerade wegen dem letztgenannten Faktor unter Beschuss: Einige Beobachter hegen Zweifel, ob die Profitabilität eines Unternehmens als Gradmesser für eine künftige Überrendite taugt. In der Regel werden Investoren von profitablen Unternehmen angezogen. Doch lässt sich aus der vergangenen Profitabilität zwingend logisch auch künftig erfolgreiches Unternehmertum ableiten? Und ist es per se riskant, in ein erfolgreiches Unternehmen zu investieren? Die laufenden Debatten zeigen, dass das Ende der Diskussion noch längst nicht erreicht ist. Die ewige Verlockung, ohne Arbeit reich zu werden, dürfte die Finanzwissenschaft noch zu so mancher Volte verleiten.