Wie riskant sind europäische Aktienfonds heute?

Seitdem der Dow Jones ein neues Rekordhoch erreicht hat, redet alle Welt wieder über Aktien. Zeit zur Vorsicht? Was Morningstar-Daten über die Allokation von Europa-Aktienfonds aussagen.

Ali Masarwah 12.03.2013
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Investoren fassen sich in diesen Wochen ein Herz und kaufen Aktien. Es spricht einiges dafür, dass die seit dem Sommer 2012 zu beobachtende Aktienerholung heute, im März 2013, im Begriff ist, zu einer veritablen Hausse zu mutieren. Seitdem der deutsche Aktienindex DAX erstmals seit 2007 wieder über die Marke von 8.000 Punkten gelugt und der Dow Jones Index ein neues historisches Hoch markiert hat, sind die Zeitungen voll von euphorischen Meldungen über die Zukunftsaussichten für Aktienrenditen. Ist es an der Zeit, Vorsicht walten zu lassen?

Stichwort institutionelle Anleger: Der State Street Investor Confidence Index für europäische Investoren signalisierte im Februar 2013 einen Anstieg des Anlegervertrauens von 89,4 auf 92,2 Punkte. Dieser Index basiert auf realen Käufen und Verkäufen von Großanlegern und ist insofern aussagekräftiger als die üblichen Investoren-Umfragen am Markt.

Ob institutionelle oder private: Investoren werden für Aktien zunehmend optimistisch

 

Stichwort Privatanleger: Ein Blick auf den Markt für Publikumsfonds signalisiert ebenfalls, dass die Basis der Aktienkäufer breiter geworden ist: Morningstar-Daten zum paneuropäischen Fondsabsatz zeigen, dass Privatanleger nach langer Abstinenz verstärkt Aktienfonds kaufen (lesen Sie hier mehr zu unseren paneuropäischen Absatzdaten für den Monat Januar).

Europa im Brennpunkt: Was machen Europafonds?

Doch wie übersetzt sich die neu entdeckte Risikofreude bei Aktienfonds, die ihr Geld in Europa anlegen? An Europa scheiden sich bekanntermaßen die Geister: Während die pessimistischen Marktteilnehmer die schwächelnde Konjunktur und den negativen Ausblick für 2013 bemühen, führen die Optimisten die Geldschwemme der Notenbanken und die positiven Auswirkungen des globalen Wachstums für Europas Unternehmen ins Feld.

Angesichts dieser unklaren Gemengelage und der Tatsache, dass das meiste in Aktienfonds investierte Anlegergeld in europäischen Portfolios steckt, wollten wir wissen, wie europäische Aktienfonds aufgestellt sind. Werfen die Portfolioverwalter alle Vorsicht über Bord, gehören sie zu den Skeptikern, oder gehen sie kontrolliert offensiv vor?

Wir haben den Test gemacht und alle in Europa zum Vertrieb zugelassenen Aktienfonds für europäische Standardwerte plus die flexibel investierenden Europa-Aktienfonds (die üblicherweise ein hohes Gewicht an Blue Chips aufweisen) zusammengewürfelt, die Zahlen addiert, dividiert und die Entwicklung der großen Durchschnitte der letzten 3 Jahre ermittelt.

Anleger zwischen Baum und Borke: Zyklisch oder defensiv agieren?

Im Mittelpunkt der Auswertung steht die Frage, ob die europäischen Aktienfonds  zyklisch oder defensiv aufgestellt sind. Der Grund ist klar: Wenn ein Fondsmanager optimistisch für die Konjunktur gestimmt ist und steigende Aktienkurse erwartet, setzt er auf Branchen, die von einer boomenden Wirtschaft übermäßig profitieren. Die Aktien solcher Unternehmen legen in der Regel dann überdurchschnittlich zu (spiegelverkehrt verlieren sie in wirtschaftlich mauen Zeiten umso mehr). Zu den zyklischen Branchen gehören Rohstoffwerte, Autoaktien und Bankentitel.

Umgekehrt tendieren Fondsmanager dazu, in schlechten Zeiten (oder in Erwartung schlechter Zeiten) defensive Branchen wir Konsumgüter und Pharmatitel überzugewichten, weil sich diese Geschäftsmodelle in der Regel auch dann gut behaupten – Essen muss der Mensch schließlich immer. (Versorger zählen eigentlich zu den defensiven Sektoren schlechthin, aber sie befinden sich seit der Atomkatastrophe von Fukushima in einer Art Sonderkonjunktur des Schreckens und werden hier nicht berücksichtigt).

Bis zu 850 vollständige Fonds-Portfolios im Fokus

Kommen wir nun zum Ergebnis unserer Auswertung. Von den 1.145 Aktienfonds aus 4 europäischen Standardwerte-Kategorien in unserer Datenbank Morningstar Direct liegen uns bis zu 850 Fonds - die Zahl der berichtenden Fonds schwankt im Zeitverlauf - mit vollständigen Portfolios vor. Per Ende 2012 belief sich das Fondsvermögen unserer Fondsauswahl auf 115,4 Milliarden Euro.

Eine Analyse der monatlichen Portfoliozusammensetzungen zeigt, dass die Fondsmanager das Risiko seit Sommer 2012 erhöht haben; das Gewicht zyklischer Aktien ist seitdem stetig gestiegen. Wir erinnern uns: Seitdem die Europäische Zentralbank Ende Juni 2012 ihr glasklares Bekenntnis zur Gemeinschaftswährung abgegeben hat - das entsprechende Londoner Statement von EZB-Chef Mario Draghi hat schon Legendenstatus - kennen die Aktienkurse nur eine Richtung.

Zykliker sind übergewichtet, aber ...

Wie aus unserer Untersuchung hervorgeht, erhöhten die Fondsmanager den Anteil zyklischer Aktien in ihren Fonds seit Ende Juli 2012 von 32,4% auf 37,8% per Ende Januar 2013. Dieser Anstieg ist signifikant und markiert das höchste Gewicht zyklischer Aktien in den vier Fondskategorien seit Anfang 2010. Allerdings zeugt diese Quote nicht unbedingt von überbordendem Optimismus und schon gar nicht von Waghalsigkeit. (Im Fachjargon der Vermögensverwalter würde man eher von einer "deutlichen Übergewichtung" aber nicht von einer "dezidierten Wette" sprechen.)

Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2011 oszillierte die Quote zyklischer Aktien um die 36%-Marke, bevor sie im Zuge der Verschärfung der Eurokrise im dritten Quartal 2011 deutlich auf 32% sank. Die  höchste Fonds-Quote an zyklischen Aktien wurde (vor Januar dieses Jahres) im Februar 2011 bei 37,3% erreicht, was 0,5 Prozentpunkten unter dem derzeitigen Niveau entspricht.  

Fondsmanager agieren nicht maßlos

Spiegelbildlich dazu ist der Anteil defensiver Branchen in den Fonds seit dem Sommer 2012 rückläufig. Waren per Ende Juli 2012 knapp 28% der Europa-Portfolios in defensiven Aktien investiert, waren es per Ende Januar gut 25%. Auch das ist deutlich über dem Durchschnitt, spricht aber auch nicht dafür, dass Europa-Fondsmanager alle Vorsicht über Bord geworfen haben. Zum Vergleich: Anfang 2011 lag die Quote defensiver Aktien bei 22% - deutlich weniger als heute. Im Zuge der Eskalation der Eurokrise stieg die Quote bis September 2011 auf 26,8%.

Zyklische Aktien werden heute höher gewichtet als vor 6 Monaten. Der Umfang der Übergewichtung zeugt allerdings nicht von überbordendem Optimismus

So weit, so gut. Fondsmanager rüsten sich also offenbar auf einen weiteren Anstieg der Märkte und haben den Anteil zyklischer Branchen - insgesamt mit Bedacht - erhöht. Doch worauf setzen sie genau? Wir haben uns dafür exemplarisch die 3 zyklischen Branchen Banken, Automobile und Rohstoffe ausgesucht und die Fonds auf ihre Gewichtungen abgeklopft. Das Ergebnis: Kontrollierte Offensive scheint das Motto der Stunde zu sein.

Banken sind unverändert Mega-out

Stichwort Banken: Während Banken rund 13% der Kapitalisierung des europäischen Aktienmarkts ausmachen (gemessen am Index MSCI Europa), sind Fonds im Schnitt deutlich untergewichtet, ja sie sind sogar meilenweit von der 10%-Marke entfernt. Per Ende Januar belief sich die Banken-Quote in den Europa-Fonds auf lediglich 5,5% gegenüber 3,9% im Juli 2012. Das wird im Fachjargon auch als „leichter Abbau einer Untergewichtung“ bezeichnet.

Beispiel Autohersteller: Daimler, VW, BMW und Co. machten per Ende Januar 2013 im Schnitt 1,9% der Fondsvermögen aus, was in etwa einer neutralen Gewichtung entspricht. Im August 2012 hatte der Auto-Aktien-Anteil bei 1,6% das niedrigste Gewicht der vergangenen Jahre erreicht. Das höchste Gewicht erreichten Autohersteller-Aktien in den Portfolios im Juni 2011 mit 2,1% - nur wenig mehr als heute.

Daimler, VW, BMW und Co. waren per Ende Januar 2013 in Europafonds im Schnitt mit 1,9% gewichtet, was in etwa einer neutralen Gewichtung entspricht

Nicht anders sieht das Bild bei Rohstofftiteln aus, die im Januar 2013 mit 8,4% leicht übergewichtet gegenüber dem Index waren. Das Niveau war damit zwar um einiges höher als im August 2012 (7,3%), aber immer noch deutlich unter dem höchsten Stand der vergangenen 3 Jahre - immerhin 9,5% im Dezember 2010.

Das Fazit: Europäische Fonds für Standardwerte waren Anfang 2013 vergleichsweise  offensiv aufgestellt, die Portfolio-Lenker haben aber beileibe nicht alle Vorsicht über Bord geworfen. Defensive Branchen sind beispielsweise heute noch immer deutlich höher gewichtet als in der Zeit vor Eskalation der Euro-Krise, und die Fondsmanager machen insgesamt einen weiten Bogen um Bankaktien. Das sollte  Fondanleger etwas beruhigen. Die Vorsicht der Fondsmanager scheint allerdings lediglich eine antizyklische Fußnote in einem immer optimistischer werdenden Marktumfeld darzustellen.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich

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