Minimum Varianz erfordert maximale Sorgfalt

Spätestens seit der Finanzkrise ist das Thema „Risiko“ bei Investoren en Vogue. Auch ETF-Anbieter folgen zunehmend dem Ruf nach risikominimierende Aktienansätze. Wir haben einige davon unter die Lupe genommen.

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Risikominimierung ist seit der Finanzkrise das Gebot der Stunde für immer mehr Anleger, die seit 2009 viel Geld in risikokontrollierte Fonds investieren. Da wollen  ETF-Anbieter nicht außen vor bleiben. Sie springen auf den fahrenden Zug auf und bringen immer mehr Strategieprodukte auf den Markt, die weniger Risiko als herkömmliche Aktien-Indizes versprechen. Im Folgenden nehmen wir drei ETFs unter die Lupe, die allesamt das Ziel verfolgen, die Volatilität des S&P 500 Index zu reduzieren. Vorweg gesagt: Die Unterschiede sind größer, als man zunächst vermuten könnte!

Alternative Beta muss nicht zwangsläufig "smart" sein

Bevor wir uns dem eigentlichen Thema widmen, sollten wir einen kleinen Ausflug unternehmen und uns sogenannte „Alternative Beta“-Strategien im Allgemeinen anschauen. ETF-Anbieter machen hierbei auch gerne vom Begriff „Smart Beta“ Gebrauch. Mir persönlich stößt diese Marketing-Floskel unangenehm auf, da sie impliziert, dass spezielle Strategien intelligenter sind als der Markt – und das sind sie nicht! Sie „definieren“ lediglich das Marktbeta anders. Ob diese Strategien besser oder schlechter sind als der Markt, liegt im Auge des Investors.

Die Diskussion zwischen aktivem und passivem Asset Management ist schon fast eine philosophische Debatte. Einige Marktteilnehmer entscheiden sich für die tatsächliche oder vermeintliche „goldene Mitte“ und setzen auf passive, quantitative Strategien - alternatives Beta eben. Dabei handelt es sich um transparente, regelbasierte Ansätze, wobei sich die Gewichtung der Indexbestandteile im Portfolio von der reinen Marktkapitalisierung unterscheidet.

Alternative Indexstrategien sind nichts Neues. In den USA wurde bereits vor 10 Jahren der Rydex S&P 500 Equal Weight aufgelebt, und seit 2004 bietet Research Affiliates eine Reihe von Indizes an, die nach fundamentalen Kriterien gewichtetet werden. Dennoch: Strategien zu entwickeln, die das Marktbeta neu definieren, scheinen in letzter Zeit immer mehr in Mode zu kommen – vor allem solche, die das Risiko zu minimieren versprechen.

Auf der einen Seite können alternative Strategien durchaus Mängel beheben, die sich durch die Gewichtung anhand der Marktkapitalisierung ergeben. Gleichgewichtete Indizes sind zum Beispiel stärker diversifiziert, da es bei dieser Gewichtung zu keinem Konzentrationsrisiko in bestimmte Aktien bzw. Sektoren kommen kann. Ein großer Kritikpunkt an der Marktkapitalisierungsgewichtung ist vor allem, dass überbewertete Aktien zu stark gewichtet werden und unterbewertete Unternehmen nur im geringen Umfang im Index vertreten sind. Die Technologieblase zur Jahrtausendwende und ihre Folgen sind das Paradebeispiel dieser Problematik.

Auf der anderen Seite basieren alternative Strategien zumeist auf statistischen Modellen, die anhand von historischen Daten berechnet werden. Nur weil eine bestimmte Aktie in der Vergangenheit eine positive Rendite erwirtschaftet hat, heißt das aber noch lange nicht, dass sie auch künftig gut laufen wird. In der Praxis kann sogar das Gegenteil eintreten. Weist eine Strategie eine starke historische Rendite auf, dann kann sich durch vermehrte Kapitalzuflüsse die zukünftig zu erwartende Rendite reduzieren.

Außerdem kann es bei alternativen Strategien, die nicht auf Indizes der Marktkapitalisierung basieren, zu Liquiditätsproblemen kommen. Durch den größeren Anteil an Nebenwerten erhöht sich zudem das Risiko. Auch eine überdurchschnittlich hohe Umschichtungshäufigkeit bei alternativen Strategien kann sich negativ auf die Kosten auswirken und dadurch die Rendite in der Realität mindern.

Minimum Varianz

Vor knapp zwei Jahren hat der französische ETF-Anbieter Ossiam alternative Strategien in Europa „salonfähig“ gemacht. Seitdem kommen immer mehr Anbieter mit alternativen Betastrategien auf den Markt. Auch iShares ist Mitte Februar dieses Jahres mit einer Reihe von Minimum Varianz-Produkten auf den alternativen Zug aufgesprungen. Investoren sollten jedoch genau hinschauen, da vermeintlich identische Strategien bei der Indexkonstruktion größere Unterschiede aufweisen, als man zunächst vermutet. Generell gibt es zwei Strategien, von denen Anbieter bei einem Minimum-Volatilitäts-Ansatz Gebrauch machen können. Wir zeigen diese Unterschiede anhand von 3 ETFs auf den S&P 500 Index, des SPDR S&P 500 Low Volatility UCITS ETF, iShares S&P 500 Minimum Volatility ETF und anhand des Ossiam ETF US Minimum Variance NR. (Das iShares-Produkt war per 20. Februar 2013 nicht an der Schweizer SIX gelistet.) 

Ein kurzer Blick auf die Sektorengewichtung der drei ETFs, die allesamt die Volatilität des S&P 500 Index reduzieren, lässt die Unterschiede schnell erkennen, wie aus der Tabelle hervorgeht. Grün hinterlegte Felder signalisieren die höchsten, gelb hinterlegte die niedrigste Gewichtung.

Tabelle: Wo die Minimum-Varianz-ETFs ihre Schwerpunkte setzen

So sind Versorger im iShares S&P 500 Minimum Volatility mit 8,5% gewichtet, beim SPDR S&P 500 Low Volatility UCITS ETF mit 31%. Gebrauchsgüter sind im Ossiam ETF US Minimum Variance mit 16,3% gewichtet, im SPDR S&P 500 Low Volatility UCITS ETF repräsentiert der Sektor hingegen nur 2,8%.

Die Unterschiede bei der Sektorengewichtung leiten sich aus der Indexkonstruktion ab, was sich letztendlich auch im Risiko-Rendite-Profil widerspiegelt. Dazu später mehr.

Die Qual der Wahl

Wie bereits erwähnt, gibt es zwei verschiedene Ansätze, einen Index mit reduzierter Volatilität zu konstruieren.

Zum einen kann lediglich die Volatilität als Maßstab herangezogen werden. Hierbei werden die Aktien mit der geringsten historischen Preisschwankung proportional gewichtet. State Street ist in Europa der einzige Anbieter, der diesen Ansatz auf den S&P 500 Index in einem ETF anbietet. Der SPDR S&P 500 Low Volatility UCITS ETF besteht aus den 100 Aktien mit der geringsten Volatilität, die anhand der Standardabweichung des täglichen Aktienpreises der letzten 252 Handelstage berechnet. Die Indexzusammensetzung wird quartalsweise neu berechnet.

Der Vorteil des SPDR S&P 500 Low Volatility UCITS ETF ist die relativ einfache und nachvollziehbare Indexkonstruktion, die auf historisch realisierter Volatilität basiert. Da es jedoch keine Beschränkungen auf der Sektorenebene gibt, kann es zu starken Konzentrationen kommen. Und in der Tat sind in diesem ETF Versorger mit 31% am stärksten gewichtet. Bei den Einzeltiteln darf die Gewichtung hingegen maximal 4% betragen. Da der Index auf der Volatilität der vorausgegangenen 12 Monate basiert, stellt sich die Frage, ob das Rebalancing quartalsweise eventuell sub-optimal ist, da es hier zu einer verspäteten Anpassung kommt, sollte sich das Marktumfeld schlagartig ändern. Es müssen hier jedoch immer Kosten und Nutzen gegenüber gestellt werden. Eine häufige Anpassung kann zu erhöhten Kosten führen, die den potenziellen Mehrwert nivellieren.

Ein zweiter Ansatz basiert auf einem Minimum-Varianz-Optimierungsprozess. Dabei wird eine Kovarianz-Matrix der einzelnen Aktien geschätzt, um ein Portfolio mit der geringsten Volatilität zu konstruieren. Bei einer sogenannten Kovarianz-Matrix werden die Korrelationen und die Volatilitäten von Aktien- oder Sektorenpaare geschätzt. Zusätzlich wird die Sektor- und Aktiengewichtung beschränkt, um Konzentrationsrisiken zu reduzieren. Sowohl der iShares S&P 500 Minimum Volatility ETF als auch der Ossiam ETF US Minimum Variance NR machen von diesem Ansatz gebrauch; jedoch verwenden beide eine leicht unterschiedliche Variante.

Der iShares S&P 500 Minimum Volatility ETF orientiert sich in Bezug auf die Sektorengewichtung stark an dem S&P 500 Index, um nicht allzu sehr vom Referenzwert abzuweichen. Jede Aktie wird mit mindestens 0,05% gewichtet, jedoch maximal mit 1,5% bzw. 20 Mal das Gewicht im Referenzwert. Auf der Sektorenebene darf jeder Sektor maximal +/-5% von der Gewichtung im S&P 500 Index abweichen. Die Aktien werden dann anhand des Minimum-Varianz-Ansatzes gewichtet, wobei der Index halbjährlich angepasst wird.

Der ETF von iShares beschränkt im Vergleich zum SPDR ETF die maximale Sektorengewichtung und berücksichtigt zudem Korrelationen, was zu einem diversifizierteren Portfolio führt. Jedoch basiert die Indexkonstruktion auf dem Minimum-Varianz-Ansatz und daher nur auf Annahmen zur zukünftigen Volatilität und Korrelation. Auch ein halbjährliches Rebalancing ist bei diesem Ansatz eher nachteilig, da das System dadurch sehr spät auf beispielsweise strukturelle Brüche reagiert. Zudem orientiert sich der Index stark am S&P 500 Index in Bezug auf Sektor- und Aktiengewichtung, was zu einer höheren Korrelation zum Referenzindex führt. Es ist also fraglich, ob diese Restriktionen das Optimum aus einer solchen Strategie rausholen können. Durch die starke Orientierung am S&P 500 Index kann die Volatilität nur begrenzt reduziert werden.

Der Ossiam ETF US Minimum Variance NR ist im Vergleich zum iShares ETF weniger restriktiv und orientiert sich nicht am S&P 500 Index. Hierbei werden die 250 liquidesten Aktien herangezogen und anhand des Minimum-Varianz-Ansatzes gewichtet. Anders als bei iShares ist die maximale Gewichtung je Aktie auf 4,5% beschränkt, unabhängig vom S&P 500 Index. Auf der Sektorenebene darf kein Sektor stärker als 20% des Indexwertes repräsentieren. Der Index muss jedoch aus mindestens 50 Unternehmen bestehen und wird monatlich angepasst. Auch der Ossiam ETF US Minimum Variance NR basiert auf dem Minimum-Variance-Ansatz und daher lediglich auf Annahmen statistischer Eigenschaften. Jedoch orientiert sich der französische Anbieter nicht an der Benchmark und beschränkt lediglich die Sektorengewichtung, um Konzentrationsrisiken zu reduzieren. Dadurch ist ein flexibler Ansatz Möglich, der das Optimum aus dieser Strategie rausholen kann – nämlich die Volatilität des S&P 500 Index merklich zu reduzieren. Zudem wird der Index monatlich umgeschichtet und repräsentiert daher die neuesten Marktentwicklungen.

Risiko-Rendite-Profil

Die unterschiedliche Indexkonstruktion schlägt sich auch im Risiko-Rendite-Profil wieder. Bevor wir uns jedoch den Zahlen widmen, sollte auf die kurze Performancehistorie hingewiesen werden. Da der iShares ETF erst am 30. November 2012 aufgelegt wurde, ist die Zeitreihe sehr kurz und sollte daher mit Vorsicht genossen werden. Dennoch sind die Ergebnisse mit den unterschiedlichen Indexkonstruktionen schlüssig. So weist zum Beispiel das Produkt von iShares das höchste Beta und Korrelation zum S&P 500 Index auf. Aufgrund der starken Orientierung am S&P 500 Index ist das wenig verwunderlich.

Tabelle: Zwischenziel erreicht, aber nicht alle ETFs liegen gleichauf 

Alle drei ETFs konnten ihr Ziel jedoch verwirklichen und die Volatilität im Vergleich zum S&P 500 Index reduzieren. Gleichzeitig lag die Performance unter der Benchmark. Aber auch diese Eigenschaft ist im Einklang mit der Theorie. Aktien mit niedriger Volatilität weisen grundsätzlich ein niedriges Beta auf. Das hat zufolge, dass die Produkte in Bullenmärkten underperformen und in Bärenmärkte outperformen. Heißt im Klartext: Die Anlagestrategie sollte langfristig, d.h. über mehrere Zyklen, Mehrwert schaffen.

Die eigentliche Sinnhaftigkeit von alternativen Strategien wird kontrovers diskutiert. Hat man sich aber dafür entschieden, ist keiner der hier Diskutierten Produkte der beste Ansatz – jeder hat seine eigenen Stärken und Schwächen. Für Investoren ist es wichtig, diese zu verstehen und die für ihn passende Strategie zu finden.

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Über den Autor

Gordon Rose, CIIA, CAIA,

Gordon Rose, CIIA, CAIA,  war von 2011 bis 2014 Fondsanalyst bei Morningstar.